Silver Surfer und ihre Anforderungen an die Web-Usability

Dieser //SEIBERT/MEDIA-Artikel ist als Gastbeitrag im E-Commerce-Magazin (Ausgabe 08/2010) erschienen, der renommierten Monatszeitschrift für Entscheider, die auf Internet-Technologien setzen.

Das Web wird grau. Diesen Eindruck gewinnt man jedenfalls, wenn man sich die Zahlen der diesjährigen ARD/ZDF-Onlinestudie anschaut. Lange Zeit galten die sog. „Silver Surfer“, eine Bezeichnung, die sich aufgrund der grauen Haarfarbe für den Personenkreis der über 50-Jährigen Onlinenutzer durchgesetzt hat, als Problemfall im Hinblick auf die Internet-Adaption. Im Web, so die weitläufige Meinung, seien Jugendliche und junge Erwachsene unterwegs, die älteren Generationen lesen Zeitung und schauen Fernsehen. Dieses Bild hat sich in den letzten Jahren jedoch stetig gewandelt.

Vor allem die Jüngeren unter den Älteren, also Personen zwischen 50 und 69, sind inzwischen im Internet angekommen. Erst bei den über 70-Jährigen sinkt der Anteil der Internetnutzer deutlich ab. Um die Zahlen etwas zu konkretisieren: 13,2 Millionen Onliner über 50 Jahre gibt es in Deutschland, 5,7 Millionen davon sind sogar älter als 60. Die so oft gepriesene Gruppe der Teenager ist den Silver Surfern zahlenmäßig unterlegen, die 14-19-Jährigen bringen es lediglich auf 5,5 Millionen Onliner. Und die demographische Entwicklung in Deutschland ist kein Geheimnis, die Gruppe der Silver Surfer wird in Zukunft also weiter wachsen.

Eine aktive und attraktive Zielgruppe

Von den E-Commerce-Verantwortlichen werden die Bedürfnisse der Silver Surfer noch viel zu oft vernachlässigt. Wenn ältere Leute im Web einkaufen, ist das gut. Aber nur selten wird etwas unternommen, um diese Nutzergruppe gezielt anzusprechen. Dabei erfüllen nur die wenigsten Silver Surfer das Klischee, das Internet in erster Linie für Stippvisiten auf Krankenkassen-Websites zu nutzen. Wie alle anderen Zielgruppen, interessieren auch sie sich für Shopping und Reisen, Versicherungen und Banking, sie bestellen im Internet Fotoabzüge und lesen Tageszeitungen. Wie das Pew Research Center kürzlich mitteilte, haben die älteren Semester inzwischen sogar soziale Netzwerke in ihren Alltag integriert.

Ein weiteres Argument, das für eine stärkere Beachtung der Silver Surfer spricht: Sie sind eine attraktive Zielgruppe, die gebildet und finanzstark ist. Die ab 60-Jährigen verfügen laut Informationen des Statistischen Bundesamtes über etwa 50% des gesamten Einkommens und Vermögens in Deutschland.

Besondere Erwartungen älterer Nutzer

Ältere Nutzer stellen besondere Anforderungen an Websites: Zum einen bringen sie bestimmte körperliche Voraussetzungen mit, zum anderen haben sie weniger Erfahrung im Umgang mit dem Internet. Das muss bei der Gestaltung von Online-Angeboten berücksichtigt werden.

Es gibt inzwischen viele empirisch gesicherte Informationen über die Bedürfnisse älterer Menschen, die sich im Internet bewegen. Sehr aufschlussreiche Untersuchungen haben die University of Manchester und die Wichita State University durchgeführt. Auf diesen Erkenntnissen und auf eigenen Erfahrungen aus vielen Usability-Projekten basieren die folgenden Ratschläge, um E-Commerce-Websites auch für Silver Surfer nutzerfreundlicher zu gestalten.

Grundsätzliche Anforderungen an Web-Inhalte

Content is King. Was Bill Gates schon 1996 betonte, ist nach wie vor richtig. Die Inhalte von Websites und deren Aufbereitung sind Silver Surfern wichtig. Von entscheidender Bedeutung für Senioren sind eine klare, verständliche Sprache und der Verzicht auf unwesentliche Informationen. Interessant ist, dass Silver Surfer Wert darauf legen, wichtige Inhalte im Zentrum der Seite vorzufinden. Linksbündigkeit, größere Zeilenabstände, kurze Sätze und Zeilen sowie eine eindeutige Textgliederung inklusive großer Überschriften und Zwischenüberschriften werden von älteren Studienteilnehmern als wichtige Kriterien für guten Content aufgeführt.

Typografie

Besondere Anforderungen stellen ältere Menschen auch an die verwendete Schrift. Eine amerikanische Studie zu diesem Thema hat eindeutige Ergebnisse geliefert: Senioren bevorzugen im Web die Schriftgröße 14. Die Probanden konnten Texte in dieser Fontgröße deutlich schneller lesen als in kleinen Schriftgrößen, entdeckten mehr absichtlich in die Texte eingestreute Fehler und gaben mehrheitlich an, die Schriftgröße 14 subjektiv zu bevorzugen. Zudem geht aus der Studie hervor, dass Silver Surfer serifenlose Schriftarten wie Arial oder Verdana Serifenschriften wie Times New Roman vorziehen. Wer Pro- und Contra-Argumente zur Schriftgröße abwägt, hat damit eine wichtige Information zur Hand und kann auf das oft übliche „Streichholz-Ziehen“ verzichten.

Informationsarchitektur, Layout und Design

Ein professionelles Design ist inzwischen für jede E-Commerce-Website ein Erfolgsfaktor. Hier unterscheiden sich die Ansprüche von Senioren nur wenig von denen jüngerer User. Einige spezielle Anforderungen stellen Silver Surfer jedoch, vor allem was die Verwendung von Farben und die Komplexität der Anwendung betrifft. So legen sie auf zurückhaltend eingesetzte Farben und deutliche Kontraste (bspw. eine klare Trennung von Blau- und Grüntönen) Wert, ebenso auf unveränderliche Hintergrundfarben und kein reines Weiß im Hintergrund. Außerdem wünschen sich ältere Nutzer, dass nicht alle Inhalte farblich dargestellt werden.

Einen großen Einfluss auf die Zufriedenheit mit einer Seite hat die Komplexität des Layouts. Je einfacher, übersichtlicher und strukturierter Seiten sind, desto positiver werden sie von älteren Usern bewertet. Das gleiche gilt auf der Makroebene: Auch Informationsarchitekturen sollten nicht zu komplex sein. Der aktuelle Trend hin zu sog. „Single Page Websites“, die gerade im Online-Marketing immer häufiger eingesetzt werden, wirkt sich positiv aus. Die Empfehlung an alle Designer lautet also, schlanke Seiten mit einem klaren Aufbau schaffen und jede Seite als potenzielle Landing-Page betrachten.

Bedienelemente, Navigation und Technologie

Bis vor wenigen Jahren galt der Verzicht auf Scroll-Balken als wichtiges Kriterium für eine gute Usability. Aktuelle nutzerbasierte Studien zeigen, dass es für die meisten User inzwischen kein Problem mehr ist, wenn sie Webseiten scrollen müssen. Gerade weniger erfahrene Silver Surfer wünschen sich jedoch, dass der Einsatz von Scroll-Balken begrenzt wird. Zudem können sie mit großen Zielobjekten und Bedienelementen, die eindeutig gekennzeichnet, möglichst mit zusätzlichen Erklärungen versehen und intuitiv verständlich sind, deutlich besser umgehen. Das dahinter stehende Gesetz, Fitts’ Law, wurde bereits 1954 formuliert und gehört zum Grundwissen jedes Designers.

Animationen und Pop-ups

Nicht zuletzt kommen die erwähnten Studien zu dem Ergebnis, dass sich sehr viele Silver Surfer durch Animationen und andere übermäßige, nicht selbst beeinflussbare Aktivitäten gestört fühlen. Dazu gehören Pop-ups und mehrere sich gleichzeitig öffnende Fenster ebenso wie Werbebanner. Im Zusammenhang mit Bannern ist die sogenannte Banner Blindness durch den Einsatz von Eye-Tracking gut erforscht. Bei älteren Nutzern führen starke Animationen allerdings zu Unsicherheit und Verwirrung. Das gilt auch für sich bewegende Textelemente.

Seniorengerechte Usability: Low Hanging Fruits

Häufig lassen sich schon mit punktuellen Veränderungen signifikante Verbesserungen erzielen. Usability-Experten sprechen in diesem Zusammenhang von den „tief hängenden Früchten“, die einfach nur gepflückt werden müssen. Oft sind es gerade im Hinblick auf die beiden wichtigsten Eigenschaften von Usability, die Effektivität (erreichen die Nutzer ihr Ziel) und die Effizienz (wie schnell erreichen sie ihr Ziel), die kleinen Dinge, die eine große Wirkung haben.

Eine seniorenspezifische Usability ist ein Erfolgsfaktor für E-Commerce-Betreiber. Die gute Nachricht ist: Es handelt sich dabei nicht um eine Entweder-oder-Entscheidung. Wer die empfohlenen Kriterien berücksichtigt, baut nicht zwangsläufig eine Website, die auf jüngere Nutzer altbacken und gestrig wirkt. Die Anforderungen von Silver Surfern lassen sich also umsetzen, ohne damit jüngere Zielgruppen zu verprellen.

Auch wenn das Web trotz der hohen Durchdringung in älteren Bevölkerungsschichten noch nicht grau ist, sind die vielen grauen Farbtupfer doch nicht zu übersehen. Höchste Zeit, die besonderen Anforderungen der älteren Semester nicht nur zu erforschen, sondern die Erkenntnisse auch umzusetzen.

Weiterführende Informationen

Unsere spezielle Seite zum Thema User-Tests
Unsere spezielle Seite über expertenbasierte Usability-Analysen
Fast 50 Millionen Deutsche online – Multimedia für alle? Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2010
Pew Research Center: Older Adults and Social Media
Research-Derived Web Design Guidelines for Older People
The Effects of Font Type and Size on the Legibility and Reading Time of Online Text by Older Adults


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1 thoughts on “Silver Surfer und ihre Anforderungen an die Web-Usability”

  1. Das ist ein wichtiger Aspekt bei der Gestaltung von WEB-Inhalten.

    Meiner Ansicht nach wird das “Problem” aber zunehmend entschärft durch die Einsatz von Oberflächen, die den Inhalt von WEB-Seiten in einer speziell aufbereiteten Form darstellen.

    Dazu fallen mir heute z.B. RSS-Reader ein, aber auch Facebook gehört dazu.

    Derartige Dienste, speziell ausgerichtet auf Silver Surfer, könnten meiner Meinung nach durchaus wirtschaftlichen Erfolg haben, wenn sie dem “älteren Benutzer” einen Vorteil bringen.

    Das betrifft Angebote im Internet – aber, und da wird es wirtschaftlich wesentlich interessanter, auch die Nutzung WEB-basierter Inhalte in Unternehmen! Ich denke da z.B. an Firmen-Wikis, Firmen-Intranets, Groupware (E-Mail, Kalender, Dokumente, virtuelle Zusammenarbeit).

    …das wird eine spannende Zukunft diesbezüglich, in der sich wohl nur “bewegliche” Unternehmen behaupten werden können.

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