UX und mobiles Design: Chancen und Herausforderungen 2012

In den fünf Jahren seit der spielentscheidenden Einführung des iPhones hat sich die mobile Welt schnell weiterentwickelt. Heutige Applikationen stoßen in Sphären vor, die in den Tagen vor den modernen Smartphones unvorstellbar waren.

Für UX-Professionals ergeben sich daraus einige faszinierende Möglichkeiten. Die Innovationslandschaft war nie so lebhaft. Man meint, dass jeden Tag irgendwer mit einer neuen App ankommt, zu der man einfach nur "Wow!" sagen kann. Wo Mobile ist, findet die heißeste Action statt.

Doch eine so schnelle Entwicklung führt zu wirklichen Herausforderungen. Die alten Regeln und Prozesse greifen nicht mehr. Heute ertappen wir uns oft beim Improvisieren, wo wir früher auf bestens erprobte Arbeitstechniken und Lösungen zurückgreifen konnten. Häufig bewegen wir uns weit außerhalb unserer Behaglichkeitszone – das ist anregend und beängstigend zugleich.

Dies sind vier Bereiche, in denen sich in diesem Jahr große Herausforderungen und Möglichkeiten für UX-Fachleute ergeben, die sich mit der mobilen Welt beschäftigen.

Die Regeln haben sich geändert

Die Dinge, von denen wir dachten, dass sie im Bereich der Desktop-Anwendungen richtig waren, sind jetzt für die Tonne. Es funktioniert nicht, einfach unsere Desktop-Oberflächen auf den kleinen Bildschirm transferieren zu wollen. Die Megapixel-Auflösungen unserer Desktop-Screens haben es uns erlaubt, ein bisschen nachlässig zu werden, und uns dazu verführt, die Leere mit verwirrenden und unaufgeräumten Funktionalitäten zu füllen.

Mobile Anwendungen schieben dieser Schlamperei einen Riegel vor. Wir müssen anders denken und uns ausschließlich auf die Essenz des mobilen Nutzererlebnissees konzentrieren. Die besten Apps beschneiden die Funktionalität bis auf das, was der Nutzer braucht, um erfolgreich damit zu arbeiten.

Im Kern ziehen großartige Apps Vorteile aus dem Kontext des Users. Der mobile Nutzer kann überall sein, er sitzt sicherlich nicht ständig am Schreibtisch. (61 Prozent der Smartphone-User geben an, ihre Geräte auch im Bad zu nutzen, was, worauf Luke Wrobleski hinweist, bedeutet, dass 39 Prozent der Smartphone-Besitzer Lügner sind.)

Oberflächlich betrachtet, könnte man meinen, dass die Regeln jetzt radikal anders sind. Tatsächlich aber haben wir jetzt den Fall, auf den wir uns die ganze Zeit vorbereitet haben. Die Gemeinsamkeit zwischen Desktop- und mobilen Oberflächen besteht darin, den Nutzer in den Mittelpunkt zu stellen.

Die Mobile-Lady ist allerdings eine strenge Gebieterin. Sie gibt sich nicht mehr mit Dingen zufrieden, mit denen wir bei Desktop-Oberflächen noch durchgekommen sind. Das macht unseren Job interessant. Weil es neue Regeln gibt, müssen wir das, was wir tun, neu erfinden. Und diesmal müssen wir es im vollen Bewusstsein dessen tun, was wir bisher gemacht haben. Diesmal können wir es richtig machen.

Zwänge der neuen Interaktion

Die meisten Applikationen drehen sich um den Dialog mit dem User – ein Vor und Zurück, bei dem die Anwendung Fragen stellt und der Nutzer Antworten gibt. Obwohl das im mobilen Umfeld nicht anders ist, hat sich doch die Art geändert, wie wir diese Dialoge führen.

Kleine Bildschirme und Touchscreen-Tastaturen sind radikal andere Wege, um Input vom User zu bekommen. Mit dem Verschwinden der Maus haben wir die Macht des Mouse-over-Effekts verloren. Und umständliche Formulare, die um enzyklopädische Dateneingaben betteln, können nicht fliegen. Wir müssen unsere Oberflächen feinschleifen, um die Interaktion richtig zu skalieren. Das bedeutet, den Nutzer nur nach den absolut essenziellen Dingen zu fragen.

Mit der Touchscreen-Technologie geht eine neue Sprache der Gesten einher. Doch da sich alles so schnell entwickelt hat, gibt es keinen verbindlichen Standard. Stattdessen erschafft jede Plattform und jede App ihr eigenes Vokabular. Heute verzweifeln User dabei, mit einer Applikation das umzusetzen, was ihnen mit der anderen spielend leicht gelingt.

All das führt zu Zwängen, unter denen wir vorher nicht arbeiten mussten. Zum Glück kommen großartige Designer gerade unter Zwang zur vollen Entfaltung. In die Etablierung einer allgemeingültigen Gestensprache und effektiver Dialoge können wir uns jetzt verbeißen.

Sehen Sie sich darüber hinaus mal die neuen Spielzeuge an, mit denen wir uns heute vergnügen können. Mobile Geräte sind gefüllt mit neuen Sensoren und Bauteilen. Gyroskope, GPS, Beschleunigungsmesser und Kameras eröffnen uns neue Interaktionsmöglichkeiten. Instapaper lässt die User scrollen, indem sie einfach das Telefon etwas senken. Mit Walgreens Apotheken-App kann man ein Medikament bestellen, indem man einfach den Barcode auf der Verpackung fotografiert.

Wir können aufregende neue Interaktionen für mobile Geräte entwickeln, aber dabei bleibt es nicht. Was passiert, wenn die Richtung wieder zurück gen Desktop geht? Was geschieht, wenn die Leute beispielsweise auf den Touchscreens ihrer Laptops Objekte per Pinch-Zoom vergrößern können? Wir haben gesehen, wie Kamera-basierte Interaktionen ihren Weg in Desktop-Anwendungen gefunden haben. Wir sind bereit zum Umdenken, und das macht Spaß.

Prozesse überdenken

Viele Designer haben, als sie sich ihrem ersten Mobile-Projekt zuwandten, schnell gemerkt, dass ihre alten Desktop-orientierten Prozesse zu plumpen Resultaten führen. Der alte Ansatz mit Wireframes und Spezifikationsdokumenten bringt es nicht mehr.

Das mobile Nutzererlebnis muss frühzeitig in den Konzeptions- und Design-Prozess einfließen. Es funktioniert nicht, damit bis ganz zum Schluss zu warten. Wir brauchen ein hochiteratives Vorgehen, eines, bei dem wir ständig ausprobieren, was wir da umsetzen.

Rapid Prototyping ist jetzt ein essenzieller Design-Skill. Wir müssen unsere Arbeitstechniken für den kleinen Bildschirm neu erfinden und Wege auftun, um Testfahrten mit den Funktionen unternehmen zu können, auf die wir hinarbeiten.

Wir sehen bereits, wie sich neue Methoden entwickeln. Rachel Hinman hat uns z.B. kürzlich eine Technik gezeigt, bei der man mit Smartphone-großen Papierskizzen, die mit Gummis auf echten Geräten befestigt werden, interagieren kann wie mit einer digitalen App. Dank solcher einfachen und einfach umzusetzenden Prototypen können wir sofort Feedback darüber generieren, was funktioniert und was wir noch weiterentwickeln müssen.

Neues Leben im Enterprise-Umfeld

Bis vor kurzem hatte man oft den Eindruck, als wären unsere unternehmensinternen Anwendungen die ungeliebten Stiefkinder in der UX-Welt; immer bevorzugten wir unsere sexy kommerziellen Applikationen. Die Nutzer der internen Systeme waren die Leidtragenden und mussten sich mit einer miserablen Usability herumärgern, weil niemand in richtig gute Arbeit investiert hat.

Heute laufen viele Angestellte mit ihren Hochleistungs-Smartphones und -Tablets herum und gerade IT-Unternehmen sehen zu, dass sie mobile Apps dafür entwickeln. Und da diese internen Anwendungen Seite an Seite mit unseren toll designten kommerziellen State-of-the-art-Apps existieren werden, schlüpfen viele Entwicklungsabteilungen in die Vorreiterrolle. Bald wird aus dieser Herausforderung eine Chance werden, bei der die neue UX-Perspektive sehr wichtig ist.

Mobile Enterprise-Apps bieten UX-Fachleuten die Möglichkeit, wieder stärker im IT-Prozess fußzufassen und ihre Unternehmen führend in Sachen tolle Oberflächen zu machen. Die IT-Branche kann sich auf konzentrierte, gut umgesetzte Lösungen einstellen, die Business-Probleme lösen und die Beteiligung der Mitarbeiter erhöhen.

Dank Mobile wird 2012 ein aufregendes Jahr für UX-Profis

Trotz der respekteinflößenden Landschaft ist Mobile Design ein aufregendes Grenzgebiet für UX-Experten, die bereit sind, die Herausforderung anzunehmen. Weil wir immer noch am Anfang sind, gibt es viele Möglichkeiten für Innovationen. Jedes Projekt baut unsere Fähigkeiten aus und macht uns mit jedem Tag wertvoller.

Wir freuen uns auf die Veränderungen, die es in diesem Jahr in der UX-Landschaft geben wird.

Dieser Artikel wurde im Original am 31. Januar 2012 unter dem Titel UX and Mobile Design: 2012's Challenges and Opportunities von Jared M. Spool veröffentlicht. Jared M. Spool gehört zu den führenden Usability-Experten unserer Zeit. Seine Website erreichen Sie unter http://www.uie.com. Weitere Artikel von Jared M. Spool finden Sie im Usability-Special von //SEIBERT/MEDIA.

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