Hofläden, Supermärkte und Firmenwikis: Misstrauen oder Offenheit?

Der Artikel Hofläden, Supermärkte und Firmenwikis: „Bitte klingeln“ und „Herzlich willkommen“ schließt mit dem Vergleich zwischen einem Bauern, der seinen Hofladen grundsätzlich umkonzipiert, und der Etablierung einer Kultur der Offenheit im Unternehmen. Ich empfehle Ihnen, diesen Artikel zuerst zu lesen.

Worauf basiert das Miteinander?

Die Entscheidung des Bauern, seine Waren vor die Tür zu stellen und eine Kasse des Vertrauens zu installieren, ist vergleichbar mit dem Wechsel von einem klassischen Intranet zu einem Unternehmenswiki. Dieser bedeutet nämlich, dass das Bitte-klingeln-Schild abmontiert und durch ein Herzlich-willkommen-Banner ersetzt, die Tür aufgesperrt und die Einladung zur Mitwirkung ausgesprochen wird.

Das //SEIBERT/MEDIA-Wiki

In einem Wiki kann jeder Mitarbeiter mitarbeiten: Jedes Dokument, das ich angelegt habe, kann jeder Kollege, der Zugang zum entsprechenden Wiki-Bereich hat, verändern. Das Unternehmen, das ein Wiki einführt, gibt damit sowohl Mitarbeitern als auch Kunden (die z.B. über ein Extranet auf Wiki-Basis integriert sind) einen hohen Vertrauensvorschuss bzw. sehr viel Macht über die „Transaktion“, um beim Beispiel des Einkaufs beim Bauern oder im Supermarkt zu bleiben.

Wie der Hofladen mit der Kasse des Vertrauens verfolgt ein Wiki einen sehr offenen Ansatz. Letztlich gelangen wir damit auch zu der Frage, wie Menschen funktionieren, die sich auch unser Bauer stellt, der sein Geschäftskonzept durchdenkt: Basiert das Miteinander auf Solidarität und Ehrlichkeit oder auf Kontrolle und Misstrauen?

Sind wir in dieser Hinsicht pessimistisch, werden wir dem Bauern davon abraten, seine Äpfel und Kartoffeln vor die Tür zu stellen und abzuwarten, ob die Leute bezahlen. Wir gehen davon aus, dass er seine Waren ungewollt verschenkt, dass die Leute den Kofferraum füllen und sich aus dem Staub machen, ohne die Kasse des Vertrauens eines Blickes zu würdigen. Als Optimisten vertrauen wir hingegen darauf, dass die Kunden die Waren, die sie mitnehmen, auch bezahlen und das Vertrauen nicht missbrauchen werden.

Zugegeben: Im Falle des Bauern sind Sorgenfalten eher angebracht als bei einem Unternehmen, das mit einem Wiki eine Kultur der Offenheit schafft. Gerade habe ich bewusst Äpfel mit Birnen verglichen.

Im Firmenwiki stiehlt niemand Kartoffeln

Der erste entscheidende Unterschied besteht darin, dass nicht einfach ein Internet-Nutzer im Firmenwiki vorbeikommen und dort Schaden anrichten kann. Auf das Wiki haben ausschließlich autorisierte Mitarbeiter bzw. Kunden Zugriff. Der zweite Unterschied ergibt sich aus der Natur eines Wikis: Im Unternehmenswiki gibt es keine Anonymität.

Das System verzeichnet jede Aktivität, ein professionelles Wiki-System wie Confluence oder Foswiki hält fest, wann und an welchem Ort es welche Modifikation durch wen gegeben hat. Habe ich ein Thema abonniert, werde ich via RSS oder E-Mail automatisch über Änderungen informiert.

Fakt ist: Wenn jemand (im übertragenen Sinne) einen Kartoffelsack einfach mitnimmt, erfahre ich das. Insofern ist das Wiki der offene Verkaufsstand des Bauern mit Überwachungskameras. (Aus diesem Grund ist es beispielsweise sinnlos, als Unternehmen darüber nachzudenken, ein Wiki „abzusperren“ und etwa dem Gros der Nutzer keine Schreibrechte einzuräumen. Damit würde lediglich das klassische, weitgehend statische Intranet-Portal kopiert und das Wiki-Konzept käme nicht zur Entfaltung.)

Vertrauen und Offenheit zahlen sich aus

Der Wikipedia-Gründer Jimmy Wales wurde einmal gefragt, welche Entwicklung seine Idee hinter sich hätte. Konzeptionell, so Wales darauf, sei der Wikipedia-Vorläufer Nupedia mit einem ziemlich seltsamen Restaurant vergleichbar gewesen:

In einem Restaurant nutzen Gäste Messer, um ihre Speisen mundgerecht zu portionieren. Der Restaurant-Leitung indes ist dies nicht geheuer: Sie befürchtet, dass Gäste, die unbeaufsichtigt mit Messern hantieren, zwangsläufig aufeinander losgehen und sich verletzen; so sei der Mensch eben und es bedürfe drastischer Beschränkungen.

Folglich wird jeder Tisch auf „todsichere“ Weise von allen anderen abgeschirmt und mit Gittern gesichert: In ihren Käfigen können Gäste dann essen und Messer benutzen, ohne anderen Leuten gefährlich zu werden.

Die Auswirkungen lassen nicht allzu lange auf sich warten und trotz der hervorragenden Karte ist das Restaurant bald verwaist – Käfige sind unromantisch und sorgen auch in jeder anderen Hinsicht für Abschreckung.

So charakterisiert Jimmy Wales Nupedia und begründet anhand dieses gescheiterten Konzepts das radikale Umdenken, das Wikipedia schließlich so erfolgreich gemacht hat: Jeder kann mitmachen, alle sind willkommen. Im Gegensatz zum Vorläufer-Projekt basiert Wikipedia nicht auf Misstrauen, sondern auf Vertrauen in das Gute im Nutzer, und ist deshalb eine so beispiellose Erfolgsgeschichte.

Dies ist der Kern des Wiki-Konzepts. Und während der Bauer trotz allen Mutes und trotz aller Innovationskraft verständlicherweise einige Zweifel an der Kultur der Offenheit hegen mag und mit sich ringen muss, hat das Unternehmen, das über eine Wiki-Einführung nachdenkt, keine zwielichtigen Umtriebe zu befürchten: Es kann nur gewinnen und wird von den Vorteilen einer „lebenden“, aktuellen, organisch wachsenden Wissensbasis im Intranet profitieren, in der eine unglaubliche Vielzahl von Prozessen abgebildet werden kann.

Weiterführende Informationen

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Architektur eines Wiki-Projekts: Elemente, Ablauf, Vorgehen, Regeln
Wiki-Studie: Was bringen Wikis konkret und welche Probleme treten auf?
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