Kontextbewusstes UX-Design: Ein neues Grenzland

Für einen echten Footballfan kann es sehr unbefriedigend sein, ein Spiel live im Stadion zu sehen. Die heutigen Megastadien machen es schwierig, viel von dem zu sehen und zu hören, was auf dem Feld passiert. Fans bekommen von den detaillierten Kommentaren und den nuancierten Informationen, die sie aus der TV-Übertragung gewohnt sind, nichts mit. Sie haben nicht den Vorteil von Wiederholungen und sie sehen die technischen Feinheiten nicht.

Die NFL weiß, dass das ein Problem ist und hat sich mit einem New Yorker Unternehmen namens Fanvision Entertainment zusammengetan, um eine Lösung einzuführen. Fanvision verkauft oder vermietet ein mobiles Gerät, das nur unwesentlich größer als ein Standard-Mobiltelefon ist und eine Menge Features für den hingebungsvollen Footballfan bietet.

Das Gerät bietet direkte Wiederholungen, Spielerstatistiken, die Konversationen zwischen Trainer und Quarterback (mit 15 Sekunden Verzögerung) und sogar die Pausenansprache des Coachs. All das passiert auf diesen speziellen Endgeräten in den Grenzen des Stadions.

Um die Voraussetzungen für ein System wie dieses zu schaffen, rüsten die Stadien auf. Das Gillette Stadium in Foxboro, MA, die Heimat der New England Patriots, hat 300 Wifi-Hotspots installiert und tausende Meter Netzwerkkabel verlegt. Fans können durch die tragbaren Geräte nun am Spiel teilhaben, während sie direkt dort sind.

Das Bahn-Erlebnis verändern

Das NFL-Football-Stadion ist natürlich nicht die einzige Umgebung, in der wir auf diese tragbaren Bildschirme blicken. Wir laufen mit hyper-verbundenen Supercomputern in unseren Hosentaschen und Jacken herum. Das macht es einfach, die Nutzererlebnisse neu zu durchdenken, die jedermann haben kann.

Stellen Sie sich vor, Sie wären in einer fremden Stadt und würden versuchen, zum Bahnhof zu kommen, um einen Zug zu erreichen. Nicht wissen, wo Sie relativ zur Station gerade sind. Am Bahnhof ankommen und erst mal den Weg zum Zug finden. Den Fahrplan interpretieren, um zur richtigen Zeit in der richtigen Bahn zu sitzen. Keine Ahnung haben, was Sie an Bord zu essen bekommen.

Was könnten wir mit diesem Hyper-Computer in unserer Tasche alles tun! Wir könnten ein Nutzererlebnis entwickeln, das uns an die Hand nimmt und uns dabei hilft, uns durch die Welt zu navigieren.

Wir könnten damit anfangen, einfache Navigationshilfen zum Bahnhof und Zeitschätzungen anzubieten, je nachdem, ob Sie ein Taxi nehmen, laufen oder andere örtliche Verkehrsmittel nutzen. Mit der heutigen Technologie ist das einfach.

Auf demselben Bildschirm könnten wir die Informationen zu dem Zug haben, den wir zu erreichen versuchen. Wenn die Zeit knapp ist und wir Gefahr laufen, die Bahn zu verpassen, könnten wir Infos zu anderen Routen ausgeben, die uns zum Reiseziel führen.

Wenn wir die Station erreichen, könnte der Bildschirm sich wieder verändern. Nun könnte er einen Countdown bis zur Einfahrt des Zuges anzeigen. Er könnte uns den Weg zum nächsten Aufenthaltsraum oder zum Imbiss mit dem Essen, das wir mögen, weisen. (Wenn wir es richtig fortschrittlich machen, könnten wir unsere Bestellung aufgeben, während wir auf dem Weg zur Station sind, sie elektronisch bezahlen und sie sofort mitnehmen, wenn wir ankommen.)

Wenn sich die Ankunft des Zuges nähert, könnte der Bildschirm sich ein weiteres Mal ändern und uns nun zum Bahnsteig leiten. Auch könnte er anzeigen, wo wir unsere live gebuchte Wagenklasse finden (Ist es direkt hier oder müssen wir ein Stück den Bahnsteig runterlaufen?) und wo im Zug es wahrscheinlich freie Plätze gibt.

Wenn wir in der Bahn sitzen, könnte der Bildschirm unser elektronisches Ticket für den Zugbegleiter generieren und die Services im Zug auflisten, zum Beispiel den Wagen mit dem Bordcafe. Eine Anzeige mit einer Karte, auf der wir unsere Route verfolgen können, und einer Zeitangabe bis zum Erreichen des Ziels könnte uns auf unserem Trip auch noch behilflich sein.

Innovation mit Bewusstsein

Dieses Zug-erreichen-Szenario geht einen Schritt weiter als die Fanvision-Idee. Es fügt ein Bewusstsein für den Kontext hinzu.

Fanvision ist eine schicke Idee, weiß jedoch nur, dass das Spiel läuft. Die Änderungen der Informationen basieren auf einem Broadcast-Modell.

Aber im Zug-Szenario sehen wir ein Bewusstsein der Position des Users, seiner Reiseziele und seiner Essensvorlieben. Dieser erweiterte bewusste Blick erschafft ein besseres Nutzererlebnis, erfordert aber auch einen erweiterten Designansatz.

All diese individuellen Bestandteile gibt es heute. Karten- und Routing-Applikationen sind frei verfügbar (auch wenn Unternehmen wie Apple herausgefunden haben, dass sie nicht so einfach zu implementieren sind wie es scheint). Anwendungen für Fahrpläne existieren seit Jahrzehnten. Restaurantkritiken und Finde-den-nächsten-Aufenthaltsraum-Apps sind leicht zu finden.

Jede für sich betrachtet, sind das ziemlich einfache Anwendungen. Doch es ist die Kombination aus ihnen, die sie innovativ macht.

Schon da: Die Apple-Store-App

Apple hat die Idee des Bewusstseins aufgegriffen und in eine wunderbare Store-Applikation für ihre IOS-Geräte entwickelt. Kunden können von überall im Laden einen Verkäufer herbeizitieren, einen Termin an der Genius Bar reservieren und sogar das Produkt kaufen, das sie gerade in der Hand haben, indem sie es scannen und den Preis von der Karte, die mit ihrer Apple-ID verknüpft ist, abbuchen lassen.

Wieder sind die individuellen Elemente der Anwendung keineswegs neu oder ungewöhnlich. Aber diese Kombination der Elemente hat eine Revolution im Verkauf eingeleitet. Bald schon werden wir diese Arten von Anwendung überall im Einzelhandel sehen. (Händler nennen diese Art zu denken Cross-Channel-Design. Ich mag den Begriff kontextbewusst allerdings lieber, denn er bestärkt die Idee, dass wir dem Kontext des Nutzers Beachtung schenken sollten.)

Kontext in den UX-Design-Prozess einfließen lassen

Wir haben noch nie so richtig für Kontext entwickelt. Klar, wir können sagen, ob der Nutzer eingeloggt ist oder einen Account bei uns angelegt hat. Aber das ist nicht wirklich der Kontext des Users. Hier geht es nur um Systemstatus.

Richtig kontextbewusste Anwendungen kombinieren divers Features darauf basierend, was wir zu tun versuchen und wie weit wir damit gekommen sind. Sie schöpfen die ganzen Möglichkeiten der Technologie aus, die wir mit uns herumtragen. Und sie passen sich an das an, was im Moment am wichtigsten ist.

Bestehende Designprozesse funktionieren hier nicht. Ein statisches Wirframe kann die dynamischen Aktualisierungen des Displays nicht abbilden. Darüber, wie visuelles Design die sich verändernden Bedürfnisse des Nutzers unterstützen kann, haben wir bislang nicht nachgedacht.

Dieser Prozess beginnt damit, das aktuelle Nutzererlebnis zu kartieren. Wenn wir Leute beobachten, die einen Zug erreichen wollen, können wir aufdecken, was sie brauchen und wann sie es brauchen. Wir können sehen, wann die Kontext-Breakpoints auftreten, an denen die Anwendung neue Informationen ausgeben muss.

UX-Design für situatives Bewusstsein wird zur Norm werden. Im Moment ist das noch ein unscharfes Grenzland. Und wie in allen Grenzbereichen dreht sich alles darum zu experimentieren und zu schauen, was funktioniert. Die Teams, die am besten damit vertraut sind, unter fließenden Bedingungen zu arbeiten, sind die, die die größten Vorteile daraus ziehen werden.

Dieser Artikel wurde im Original am 14. Februar 2013 unter dem Titel Context-Aware Design: A New Frontier von Jared M. Spool veröffentlicht. Jared M. Spool gehört zu den führenden Usability-Experten unserer Zeit. Seine Website erreichen Sie unter http://www.uie.com. Weitere Artikel von Jared M. Spool finden Sie im Usability-Special von //SEIBERT/MEDIA.

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