Voodoo-Usability: User-Tests, die keine sind

"Hol mal den Kollegen!"

Stellen wir uns ein beispielhaftes Szenario vor, das in vielen Unternehmen gängige Praxis ist: Ein Team hat eine schöne neue Applikation entwickelt und schreitet zur Erprobung. Vom trendigen Wörtchen "Usability" hat man auch schon einmal gehört und denkt sich, dass nun ein unabhängiger Nutzer die Anwendung unter praktischen Bedingungen begutachten könnte – ein User-Test muss her.

Wie kommt man an einen unabhängigen Tester? Kurzum: Man greift sich einen Kollegen aus einer anderen Abteilung (die sinnbildliche Putzfrau möchte ich nicht überstrapazieren), setzt diesen vor die Applikation und lässt ihn einfach mal losklicken. Der vermeintliche Usablity-Experte steht dahinter und notiert, was ihm auffällt. Fertig ist der User-Test.

Genau solche und vergleichbare Methoden sind in vielen Unternehmen üblich. Usability-Vordenker Jakob Nielsen hat dafür den Begriff Voodoo-Usability geprägt. Damit meint er Usability-Richtlinien und -Ratschläge, die mithilfe zweifelhafter empirischer Methoden gewonnen wurden und letzten Endes weitgehend unbrauchbar sind.

Mit systematischem und professionellem Usability-Engineering und User-Testing hat Voodoo-Usability nichts zu tun. Ihr Nutzen ist äußerst gering und die wenigen gewonnenen Einsichten sind nicht repräsentativ.

Professionelle User-Tests sind realitätsnah

Damit ein User-Test auch relevante Erkenntnisse liefert, muss zunächst die Probandenauswahl mit einer Zielgruppenanalyse einhergehen. Nur so kann das Test-Szenario der Realität angenähert werden.

Es hat keinen Sinn, eine Finanzmanagement-Software von einem bunten Bevölkerungs-Querschnitt testen zu lassen; dazu benötige ich Probanden aus dem Bankenumfeld. Ebenso unzuverlässig werden die Ergebnisse sein, wenn sich anstelle von Ärzten und Apothekern eine Handvoll wahllos aus Panels rekrutierter Personen mit einer E-Commerce-Anwendung für pharmazeutischen Bedarf befasst. Über Usability-Erkenntnisse, die mit Hilfe von Fokusgruppen oder Umfragen gewonnen werden, decken wir besser gleich den Mantel des Schweigens.

Professionelle User-Tests sind systematisch

Ein User-Test ohne systematisches Vorgehen ist keiner. Um verlässliche, verwertbare und vergleichbare Ergebnisse zu erzielen, müssen in enger Abstimmung mit dem Kunden erfolgskritische Aufgaben definiert werden, die die Probanden erfüllen sollen. Zu welchen Erkenntnissen sollte das wahllose Herumklicken auf einer Website führen?

Zu einem methodischen User-Test gehören zudem physiologische Beobachtungen der Probanden beim Ausführen von Aufgaben, Vor- und Nachbefragungen, zu analysierende Videoaufnahmen, die Erhebung von Personendaten und natürlich eine professionelle Auswertung sowie die Erstellung eines Maßnahmenkatalogs.

User-Testing ist richtige Arbeit

Ein systematischer und professioneller User-Test ist eine sehr aufwändige Arbeit, die nicht innerhalb von 24 Stunden realisiert werden kann und auch nicht zum Schleuderpreis zu haben ist. Doch die daraus resultierenden Ergebnisse sind von unschätzbarem Wert und ermöglichen einen hohen Return on Investment.

Voodoo-Usability ist User-Testing im Schnellverfahren und folgt dem Motto: Wir machen ja User-Tests, haben aber eigentlich keine Ahnung, wie so etwas funktioniert. Das ist besser als nichts, allerdings auch nicht viel besser.

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2 thoughts on “Voodoo-Usability: User-Tests, die keine sind”

  1. Hallo Martin,

    der erste Link “http://www.persuade-now.at/blog/?p=107” ist defekt. Ansonsten ein interessanter Artikel.
    Gruß
    jens

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