Der Lean Stack (Teil 1)

Die meisten Produkte scheitern nicht deshalb, weil wir es nicht schaffen, das zu entwickeln, was wir uns vorgenommen haben, sondern weil wir Zeit, Geld und Anstrengungen in die Entwicklung des falschen Produkts investieren.

Für mich ist der Unternehmer mit seiner oftmals grenzenlosen und außerordentlichen Passion für die Lösung hauptverantwortlich für dieses Scheitern. Manchmal ist die Lösung für eine Menge Leute wirklich toll, aber viel häufiger ist das nicht der Fall.

Wie vermeiden wir das?

Gründern empfehle ich dringend, ihre Vorstellungen vom "wahren Produkt" und von ihrer "wahren Aufgabe" neu zu definieren.

  1. Das wahre Produkt eines Unternehmers ist NICHT die Lösung, sondern ein funktionierendes Geschäftsmodell.
  2. Die wahre Aufgabe eines Unternehmers ist es, Risiken dieses Geschäftsmodells mit der Zeit systematisch zu minimieren.

Diese Neudefinition war meine Motivation, das derivative Lean-Canvas-Format (Anm. der Red.: Abgeleitet vom Business Model Canvas nach Alexander Osterwalder) zu entwickeln und die universellen Meta-Prinzipien für Running Lean zu formulieren, wie sie hier visualisiert sind:

Am Anfang zeichnen Sie eine Linie mit Ihrem initialen Lean Canvas in den Sand, priorisieren Risiken und testen diese Risiken systematisch durch Experimente. Es gibt einen eingebauten Learn-Feedback-Kreislauf von den Experimenten zurück zu den Risiken und von dort zurück zum Geschäftsmodell.

Das Modell praktizieren

Während dieser Prozess konzeptionell funktioniert, sehe ich mich oft Fragen anderer Gründer gegenüber, die darauf abzielen,

  1. Risiken korrekt zu priorisieren und Experimente zu definieren,
  2. diese Experimente zu tracken, sodass sie mit der Zeit skalieren und mehr Leute involviert werden können, und
  3. das aus den Experimenten Gelernte im Hinblick auf das Lean Canvas zu reflektieren und mit dem Canvas zu verknüpfen.

Ich kenne diese Herausforderungen aus erster Hand und habe sie selbst erlebt, als ich mein eigenes Team aufgebaut und begonnen habe, eine lernende Organisation aufzubauen, in der jeder Experimente macht.

Das Grundproblem mit diesem Prozess besteht darin, dass jeder Übergang zwischen Stadien einen mentalen Sprung erfordert – so etwas lässt sich schwer trainieren und/oder mit anderen teilen.

Obwohl Experimente zu den Schlüsselaktivitäten in Lean Startups gehören, ist es schwierig, sie korrekt zu definieren, durchzuführen und auszuwerten.

Um mich inspirieren zu lassen, habe ich mich an Jeffrey Liker gewandt, der eine Reihe von Büchern über das Produktionssystem von Toyota geschrieben hat. Ich gestehe, dass ich in Sachen Prozesse nicht besonders gut bin und eine innere Aversion gegen sie hege. Wie viele von Ihnen, habe ich in großen Unternehmen gearbeitet und viele nutzlose TPS-Reports und überflüssige Prozesse durchlebt. Doch bei Toyota sehen sie ihre TPS-Reports mit anderen Augen.

"Der richtige Prozess produziert die richtigen Resultate."

Jeffrey Liker: "The Toyota Way"

Im Lean-Denken ist ein Prozess nichts, das von oben diktiert wird und in Stein gemeißelt ist, sondern eher ein lebendes Produkt, das den Leuten gehört, die die Arbeit machen. Hier gilt eine einzige Richtlinie – Ausschuss reduzieren, also die Eliminierung von Arbeit, die keinen Wert schafft. Sie beginnen damit, Ihre derzeitigen Prozesse mithilfe einer Value-Stream-Karte zu dokumentieren, und fordern dann alle auf, sie kontinuierlich zu verbessern.

Nach ein paar Iterationen und vielen Tests haben wir einen Prozess entwickelt, der für uns und inzwischen auch ein halbes Dutzend anderer Startups funktioniert – etwas, das wir Lean Stack nennen und das ich nun ein bisschen erklären möchte. Aber zuerst will ich erläutern, wie wir bis hierher gekommen sind.

Version 1: Risiken und Experimente als Schichten auf dem Lean Canvas

Unser erster Ansatz war die Anwendung eines Layer-Modells auf das Lean Canvas. Die Idee war, die Canvas-Struktur intakt zu halten, aber weitere Schichten für Risiken und Experimente darüber zu legen.

Das ist genau das, was in das Lean-Canvas-Online-Tool eingebaut ist, aber nach einigen Versuchen erkannten wir, dass wir es nicht schafften, das Modell im Rahmen unserer täglichen Routine zu adaptieren.

Wir sahen uns Schwierigkeiten gegenüber, ein Experiment in eine einzelne Sektion des Canvas’ hineinzupressen. Potenziell testen viele Experimente – etwa die Durchführung eines Solution-Interviews – mehrere der Geschäftsmodellannahmen und Hypothesen gleichzeitig.

Doch der Knackpunkt ist, dass das Lean Canvas selbst eine statische Betrachtungsweise ist, die uns nicht dabei hilft, den Workflow zu visualisieren.

Nutzen Sie visuelle Kontrollen, dann bleiben keine Probleme im Verborgenen.

Jeffrey Liker: "The Toyota Way"

Version 2: Ein Kanban-Board für die Feature-Ebene

Das brachte uns zur zweiten Version, in der es darum ging, ein sogenanntes Minimum Viable Feature Level (MVF) auf Basis eines Kanban-Boards zu entwickeln, wie ich es in meinem Artikel How we build features und in meinem Buch beschrieben habe.

Zur Erinnerung:

Ein MVF ist von einem Minimal Marketable Feature (MMF) zu unterscheiden.

MMF wurde zuerst in dem Buch "Software by Numbers" als die kleinste Portion Arbeit, aus der Nutzen für den Kunden hervorgeht, definiert. Ein MVP besteht aus einem oder mehreren MMFs.

Ein guter Test für ein MMF besteht darin, sich zu fragen, ob man seine Kunden in einem Blog-Artikel oder Newsletter darüber informieren würde. Ist es zu geringfügig dafür, ist es kein MMF.

Die Idee ist hier, mit dem Lean Canvas das Geschäftsmodell und die Risiken und mit dem Kanban-Board die aktuelle Arbeit zu dokumentieren.

Die Wahl eines MVFs für eine griffige Arbeitseinheit war so beabsichtigt. Dadurch wollte ich einen Makro-Blick auf die Arbeit erhalten, der auch Kunden-Learnings abbildet, statt nur mit einem Task-Board zu arbeiten. (Dieses haben wir separat gepflegt.)

Während das Kanban-Board toll darin war, Features zu tracken, war immer noch ein geistiger Sprung zwischen dem Canvas und dem Board nötig. Obwohl die Nutzung des Canvas' zur Abbildung von Risiken sinnvoll war, denn alles auf dem Lean Canvas muss ja getestet werden, spannt sich sein Rahmen um Annahmen. Ich fand, dass es nicht ausreichte, eine Sektion auf dem Canvas einfach als Risiko zu markieren, da diese Sets mit Annahmen dann immer noch in Risiken übersetzt und priorisiert werden mussten.

Mentale Sprünge sind problematisch, weil unterschiedliche Leute unterschiedliche Sprünge vollführen. Das ist an sich natürlich nichts Schlechtes, aber sie bekommen Schwierigkeiten, weil diese mentalen Sprünge nicht dokumentiert sind.

"Standardisierte Aufgaben bilden die Grundlage für kontinuierliche Verbesserung."

Jeffrey Liker: "The Toyota Way"

Schnell wurde auch deutlich, dass ein MVF kein einzelnes Experiment war, sondern aus einer Reihe von Experimenten bestand, die wiederum auf einer Reihe von Aufgaben basierten. Das Board war zu "makro" und entsprechend schwerfällig.

Etwas mehr Inspiration: Die Vision-Strategie-Produkt-Pyramide

Wir brauchten einen durchgehend fließenden End-to-End-Prozess. Die Idee zu diesem Flow und damit zu Lean Stack kam, als Eric Ries in einem gemeinsamen Webinar seine Vision-Strategie-Produkt-Pyramide erklärte.

Ich hatte diese Pyramide schon viele Male zuvor in Erics Buch gesehen, doch dieses Mal war der Effekt anders.

Das habe ich mitgenommen:

Wenn Unternehmer eine Idee haben, kommt alles als ein einzelnes klares Signal. Der Hauptgrund für scheiternde Produkte ist der, dass wir uns oft nicht die Zeit nehmen, um die Idee in Vision, Strategie und Produktkomponenten aufzugliedern. Stattdessen rasen wir zur Spitze der Pyramide hinauf, um uns wie Jugendliche Hals über Kopf in das Produkt zu verlieben.

Die Pyramide lässt sich gut mithilfe einer Metapher erklären, die auch Eric in seinem Buch nutzt:

Stellen Sie sich vor, Sie hätten einen neuen Job am anderen Ende der Stadt. Die Vision ist hier nun der Zielort bzw. der neue Arbeitsplatz. Die Strategie umfasst alle Möglichkeiten, dorthin zu gelangen – Sie können radeln, den Bus nehmen, Auto fahren usw. Sie wissen im Vorfeld nicht, welche Routen optimal sind, also machen Sie Experimente. Eine Änderung der Strategie ist ein Pivot. Das Produkt ist eine reproduzierbare Roadmap, um zur Arbeit zu kommen.

Ein anderes hilfreiches Modell zur Erklärung der Pyramide ist Simon Simoneks Golden Circle. Die Vision ist das Warum. Die Strategie ist das Wie. Und das Produkt ist das Was.

Anmerkung der Redaktion: Im folgenden zweiten Teil der Artikelreihe erläutert Ash Maurya den von der Vision-Produkt-Strategie-Pyramide inspirierten Lean-Stack-Prozess und veranschaulicht die Funktionsweise und die Möglichkeiten des Lean-Stack-Boards.

Dieser Artikel wurde im Original am 14. Juni 2012 unter dem Titel The Lean Stack – Part 1 von Ash Maurya veröffentlicht. Ash Maurya gehört zu den führenden Köpfen der internationalen Gründerszene und ist einer der renommiertesten Experten für Lean Startup und Customer Development. Seinen Weblog finden Sie unter www.ashmaurya.com/blog. Die Website seines Unternehmens Spark59 erreichen Sie unter http://spark59.com. Weitere Artikel von Ash Maurya bietet unser Lean-Special.

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