Drei wichtige Usability-Herausforderungen beim Erstellen von Web-Applikationen

Wer dem Hertz #1 Gold Club beitritt, kann seinen Mietwagen äußerst einfach und mit wenig Aufwand buchen. Die Website speichert Informationen über Rechnungen, bevorzugte Fluglinien und Städte, in die man oft reist und erspart seinen Mitgliedern so viel Zeit und Mühe, diese Buchungsschritte immer und immer wieder vornehmen zu müssen. Das stärkt die Kundenbindung, denn viel beschäftigte Reisende können ihre Reservierungen in weniger als einer Minute abschließen.

Bedauerlicherweise haben unsere Tests gezeigt, dass die Club-Mitglieder die optimierten Möglichkeiten gar nicht nutzen. Wenn sie ihre Reservierung durchführen und etwa rasch einen Preisvorschlag erhalten möchten, sind sie versucht, das Reservierungsformular auf der Homepage von Hertz.com ausfüllen.

Allerdings muss der User, um die Vorteile der Club-Mitgliedschaft wahrnehmen zu können, das Formular auf der Homepage überspringen und sich stattdessen in das System einloggen. Wer sich anmeldet, nachdem er den Reservierungsprozess bereits begonnen hat, muss wieder ganz von vorn anfangen.

Beobachtet man diese Stammkunden, wird offensichtlich, dass viele von ihnen den Ablauf, den die Applikation vorgibt (erst einloggen, dann reservieren), nicht als den natürlichen Ablauf ansehen, dem sie gerne folgen würden. Wenn sie das Reservierungsformular bearbeiten, stehen sie nach dem anschließenden Login im Regen, denn ihre gerade eingegebenen persönlichen Informationen werden nicht in das Folgeformular übernommen.

Den Ablauf abzubilden, den die User als natürlich empfinden, ist nur eines der Probleme, denen sich Entwickler während der Design- und Programmierphase einer Web-Anwendung stellen müssen. Um unseren Kunden zu helfen, haben wir eine Liste mit drei Herausforderungen zusammengestellt, die man im Auge behalten sollte.

Herausforderung #1: Die Applikation finden

Einige Anwendungen haben Glück. Sie stellen die einzige Funktion dar, die auf einer Website angeboten wird und sind deshalb einfach zu finden – normalerweise direkt auf der Startseite.

Die meisten Anwendungen existieren jedoch inmitten eines Ökosystems weiterer Informationen und Systeme. Zum Beispiel kann es auf der Website einer Fluggesellschaft Dutzende eigenständige Applikationen von der Reservierung über die Reiseplanänderung und den Check-in bis zur Prämienauswahl für Flugmeilen geben. Manche dieser Anwendungen – wie z.B. das Abfragen von Flug-Informationen – werden tausendfach pro Tag genutzt. Andere Funktionen – etwa die Anfrage von Vielfliegerpunkten für einen verpassten Flug – haben nur eine Handvoll Nutzer.

Enthält eine Website viele verschiedene Anwendungen, wollen die User auch wissen, wie die einzelnen Anwendungen heißen. Industriejargon und der Hang, alles mit kernigen Markennamen zu versehen, können es Nutzern erschweren, die Anwendung ausfindig zu machen, die sie eigentlich suchen.

Vor ein paar Jahren wurde auf Disney.com ein süßer Winnie-the-Pooh-Bär angeboten, dessen Bäuchlein mit Sätzen wie „Gute Besserung!“ oder „Wir lieben Dich!“ bestickt war. In User-Tests fanden die Probanden das Produkt ganz bezaubernd und etliche Nutzer wollten einen der Bären bestellen. Unglücklicherweise war vielen Testteilnehmern nicht klar, dass sie auf einen Link mit der Beschreibung „Ein Pooh-gramm senden“ klicken mussten, um den Bestellvorgang zu starten. Der Link war hübsch, half aber nicht dabei, die Anwendung zu identifizieren.

Um dieser Herausforderung zu begegnen, empfehlen wir Kunden immer wieder, User-Tests ihrer Websites durchzuführen und so zu gewährleisten, dass die User alle Elemente des ganzen Anwendungs-Pools finden. Natürlich sollen sie nicht sagen „Finden Sie die Pooh-gramm-Applikation.“ Stattdessen sind Einfallsreichtum und kleine Tricks gefragt – zum Beispiel zeigt man dem User ein fertiges Produkt (also die bestickte Puppe) und fragt ihn dann: „Möchten Sie nicht eine für Ihre Nichte bestellen?“

Ein weiteres wichtiges Instrument, mit dem Entwickler sicherstellen können, die richtigen Titel zu verwenden, sind die Suchbegriffe, über die User auf die Seite gelangen und die sie bei der internen Suche verwenden. Wer sich die Suchwörter anschaut, die Nutzer tatsächlich verwenden, bekommt ein gutes Gefühl für die Sprache der User.

Herausforderung #2: Die Anforderungen an die User richtig kommunizieren

Kürzlich führte eine große Airline eine Zufriedenheitsstudie unter ihren Fluggästen durch. Beim Verlassen der Maschine händigten die Flugbegleiter jedem Passagier ein Kärtchen aus, das den Hinweis auf die Website enthielt und auf dem jedem Umfrageteilnehmer ein nettes Incentiv versprochen wurde.

Viele Kunden interessierten sich für das Geschenk und begannen damit, das Umfrageformular auszufüllen. Einige wurden auch damit fertig, viele Kunden brachen jedoch ab, als das System sie nach der Ticketnummer auf dem Abriss ihrer Bordkarte fragte. Die Umfrageteilnehmer konnten nicht ahnen, dass sie diese Information benötigen würden, und sie konnten nicht mal eben schnell auf dem bereitliegenden Abriss nachschauen.

Viele Applikationen setzen voraus, dass die User etwas zum Prozess beisteuern, sei es eine Kunden-, Kreditkarten-, Ausweisnummer oder etwas anderes. Weist die Anwendung den Nutzer nicht gleich am Anfang darauf hin, die entsprechende Informationen bereitzuhalten, und wird er mitten im Prozess damit überrascht, fragt er sich, ob das Weitermachen die Mühe lohnt. (Das wird noch dadurch verstärkt, dass er nun mit weiteren unerwarteten Eingabeaufforderungen rechnet.)

Im Zusammenhang mit benötigten Informationen werden User oft damit konfrontiert, dass die Applikation mehr Zeit als eigentlich geplant in Anspruch nimmt. Manchmal kommt das daher, dass die Anwendung wesentlich tiefer als erwartet ins Detail geht.

User, die mit einer schnellen Interaktion rechnen, fühlen sich unter Druck gesetzt, wenn die Anwendung ihnen Zeit abverlangt, die sie gar nicht haben. Ist nicht schon aus den ersten Schritten deutlich ersichtlich, was auf den Nutzer zukommt, kann eine angenehme Erfahrung rasch in Frust umschlagen.

User-Tests helfen, die Erwartungshaltungen der Nutzer zu identifizieren. Fragt man sie im Vorfeld, mit welchem Zeitaufwand sie rechnen und welche Informationen ihnen das System ihrer Vermutung nach abverlangen wird, wird schnell klar, ob die Entwickler mit ihren Einschätzungen richtig liegen.

Feldstudien sind ebenfalls hilfreich, um die Nutzungszusammenhänge zu verstehen. So kann ein Team zum Beispiel aufdecken, dass eigentlich vorhandene Eingänge nicht verfügbar sind, weil sie einem Kunden zurückerstattet wurden, was wieder andere Abrechnungsmethoden erfordert.

Herausforderung #3: Den natürlichen Nutzungsprozess gestalten

Hertz.com ist nicht die einzige Website mit problematischen Abläufen. Vor Jahren haben wir getestet, wie Kunden bei BestBuy.com einkaufen. Die meisten Teilnehmer an unserer Studie lösten die Testaufgabe, bestimmte Produkte zu bestellen, geflissentlich und zeigten sich sehr zufrieden mit dem gesamten Bestellprozess.

Einige BestBuy-Kunden kamen jedoch an einen Punkt, an dem das System den Inhalt des Warenkorbs zusammenfasste und auf den Ausdruck einer Kopie der Seite für die persönlichen Unterlagen drängte. Das hielten diese User auch für sinnvoll, kamen dem nach und druckten die Zusammenfassung inklusive Bestellnummer aus.

Leider waren diese Kunden mit der Bestellung noch gar nicht fertig - bemerkten das aber überhaupt nicht. Sie gingen davon aus, dass ihre Order abgeschlossen wäre; sie hatten ja eine Übersicht mit einer Auftragsnummer vorliegen. Die Applikation wiederum sah noch einen nächsten Schritt vor und verlangte von den Usern, einen „Weiter“-Button anzuklicken und die Bestellung tatsächlich ins System einzuspeisen.

Die Käufer, die ihre „Quittung“ in den Händen hielten, loggten sich aus, ohne jemals einen Auftrag abgegeben zu haben. Wochen darauf, als wir den Test nachbereiteten, zeigten sie sich folgerichtig sehr verärgert über BestBuy.com, das die vermeintlich bestellte Ware nicht lieferte. Einige Teilnehmer erzählten uns, sie hätten den Kundenservice angerufen, der nichts von den ausbleibenden Aufträgen gewusst habe. Das konnte er freilich auch nicht, doch die Kunden empfanden das als unerklärlich – immerhin hatten sie ihre ausgedruckten Bestätigungen! (Natürlich nahmen sich die talentierten Leute von BestBuy.com des Problems, auf das wir gestoßen waren, rasch an, lösten es durch einen besseren Checkout-Button und wurden mit einer dramatischen Zunahme an Verkäufen belohnt.)

Wir decken Ablauf-Probleme wie dieses auf, indem wir beobachten, wie die User mit der Applikation interagieren. Wir schauen genau, ob Nutzer sich mit dem von der Anwendung vorgegebenen Ablauf herumplagen, weil dieser nicht ihren Erwartungen und Bedürfnissen entspricht. Dadurch verstehen wir besser, inwiefern User Abläufe anders wahrnehmen als Designer und Entwickler, und können aus diesen Erkenntnissen sinnvolle Änderungsempfehlungen ableiten.

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Dieser Artikel wurde im Original 5. März 2008 unter dem Titel „3 Important Usability Challenges for Designing Web Apps“ von Jared M. Spool veröffentlicht. Jared M. Spool gehört zu den führenden Usability-Experten unserer Zeit. Seine Website erreichen Sie unter http://www.uie.com. Weitere Artikel von Jared M. Spool finden Sie im Usability-Special von //SEIBERT/MEDIA.

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