Drei entscheidende Vorteile von Personas

Wenn Sie das nächste Mal die Gelegenheit haben, jemanden zu beobachten, der etwas auf einer Karte sucht, achten Sie doch einmal darauf, was er zuerst macht. Nämlich genau das, was alle tun: Er sucht zuerst sich selbst.

Dabei ist es egal, um was für eine Karte es sich handelt, ob um die eines Wohngebietes oder die eines Freizeitparks. Die Leute öffnen die Karte und suchen nach etwas, zu dem sie eine Beziehung haben, sei es das eigene Haus oder die Lieblingsachterbahn.

Psychologen sprechen hierbei von „Grounding“ (Erdung), dem natürlichen Verhalten, zuerst einen bekannten Bezugspunkt in einer fremden Umgebung zu suchen und dann von dort aus dessen Umgebung zu erkunden.

Während Grounding durchaus hilfreich dabei ist, sich komplexen Situationen anzupassen, kann es in der Web- oder Software-Entwicklung auch schädlich sein. Wenn sich jemand während des Software-Entwicklungsprozesses groundet besteht die Gefahr, dass letztlich nur er selbst die Anwendung nutzen kann.

Sich selbst und die Arbeit auseinanderhalten

Wenn Sie eine Anwendung für sich selbst entwickeln, ist das toll; allerdings nur dann, wenn Sie später der einzige Nutzer sind. Wenn wir unsere Küche einrichten, wollen wir uns selbst darin zurechtfinden; es ist uns ziemlich egal, dass womöglich auch einmal ein Gast in die Küche kommen und nach Dingen suchen könnte.

Etwas ganz anderes ist es, wenn wir an einer Online-Anwendung arbeiten, denn die erstellen wir für andere Leute und nicht für uns selbst. Wir mögen umfassende Kenntnisse über Konzeption und Layout haben. Wir verstehen auch das Zusammenspiel der einzelnen Elemente. Und wir sind vertraut mit dem Jargon und den Regeln. Egal.

Wenn wir eine Applikation entwickeln, besteht immer die Gefahr, dass wir das für uns selbst tun. Jedes Mittel, mit dem wir Grounding vermeiden können, hilft uns, unsere Arbeit objektiv in Angriff zu nehmen und durch die Augen der Zielgruppe zu betrachten.

Vorteil 1: Vermeidung von Grounding

Wir hatten kürzlich die Gelegenheit mit verschiedenen Teams zu sprechen, die Personas verwenden. Wir haben festgestellt, dass ein Hauptnutzen in der Vermeidung des Groundings besteht.

Personas sind Modell-User, die Teams entwickeln, um die Motivation, die Ziele und das Verhalten der späteren Nutzer ihrer Anwendung zu begreifen. Personas stellen Verhaltensmuster dar und helfen, den Tagesablauf des Users und die Integration der Anwendung in den Tagesablauf besser zu verstehen.

Die Teams, die wir befragt haben, nutzen Personas also, um Grounding vorzubeugen. Sie fragen nicht „Wie würden wir das Programm nutzen?“, sondern „Wie würde Persona Mary das Programm nutzen?“ Sie legen die Sichtweise des Nutzers als Maßstab an und nicht die eigene.

Rentner verstehen

Ein Team in unserer Studie arbeitete an einem Investment-Tool, das später hauptsächlich von älteren Leuten genutzt werden sollte. Das Team aus lauter Mittzwanzigern dachte sich: Wenn wir einmal in Rente gehen, tätigen wir sicherlich nur einfache Investitionen und Bankgeschäfte. Also entwickelten sie eine erste prototypische Version zur Durchführung einfacher Geschäfte.

Nun kam bei einer Befragung heraus, dass eine Person aus der Zielgruppe, nennen wir ihn Ron, ein aktiver 76-jähriger ist, der neun Einkommensquellen und drei Hypotheken hat und monatlich mindestens 21 Geldtransfers von diversen Konten tätigen muss. Und nicht nur das: Offenbar gab es neben Ron noch viele andere Leute, deren Geschäfte alles andere als einfach waren.

Sobald die Leute im Team den Prototypen aus Rons Perspektive betrachteten, stellten sie fest, dass ihr Ansatz problematisch war: Ihre Anwendung in ihrer selbstauferlegten Beschränktheit würde Ron das Leben ziemlich schwer machen. Als sie Ron (und nicht sich selbst) in den Fokus stellten, erkannten sie also, dass sie eine völlig andere Herangehensweise wählen mussten.

Das ist nicht der einzige Vorteil von Personas. Es gibt zwei weitere schlagkräftige Argumente.

Vorteil 2: Die mündliche Überlieferung lebt

Als wir mit Teams zusammengearbeitet haben, die Personas häufig nutzen, ist uns aufgefallen, dass diese ziemlich oft über ihre Personas sprechen, und das mit geradezu mythischer Andächtigkeit. Sie haben diesen virtuellen Nutzern quasi ein Leben gegeben, und zwar auf Basis der tatsächlichen Beobachtung realer Personen. Sie machen sich diese nicht realen „Leben“ ständig zunutze um einzuschätzen, wie ihre Ideen auf die Nutzer wirken würden.

Seit Menschengedenken erzählen die Leute sich Geschichten. Lange bevor es die Schrift gab, haben Menschen Geschichten und Sagen genutzt, um ihren Kindern Werte beizubringen und sie auf die Welt vorzubereiten.

Diese Tradition ist quicklebendig. Vor einigen Jahren hat die Xerox Corporation eine Studie durchgeführt und untersucht, wie Service-Techniker im Außendienst lernen, effizient mit den unregelmäßig auftretenden und ziemlich komplexen Problemen umzugehen, denen sie sich stets gegenüber sehen.

Die Forscher nahmen ursprünglich an, dass der Mix aus Praxiserfahrung und theoretischer Schulung bzw. Anleitung dabei die größte Rolle spielen würde. Umso überraschter müssen sie gewesen sein, als sie feststellten, dass die Techniker, die die verrücktesten Probleme im Handumdrehen lösen konnten, ihre Fähigkeiten nicht im Klassenraum oder durch die weise Anleitung älterer Kollegen erworben haben.

Nein, es waren die „Fronterlebnisse“, von denen die Techniker sich erzählten, wenn sie in zwangloser Runde mit ihren erfolgreichen Einsätzen prahlten. Sie saßen beisammen und übertrafen sich mit beeindruckenden Notfall-mit-anschließendem-Wunder-Schilderungen. Den dabei vermittelten Details verdanken die besten Service-Techniker ihre Kenntnisse.

Sinnvolle Details weitergeben

Die Teams, denen wir über die Schulter geschaut haben, machen es genauso: Sie kommen zusammen und erzählen sich Geschichten darüber, wie ihre Personas irgendein Problem angehen würden. Durch die Details dieser Geschichten bekommen die Teammitglieder nach und nach ein untrügliches Gefühl für die Nutzer und die zu erwartenden Probleme.

Mündlich überlieferte Geschichten werden bei jedem Weitererzählen zwangsläufig etwas abgewandelt. Viele Teams beugen dieser Verzerrung vor, indem sie die Hintergrundgeschichten zusammen mit den Personas festhalten. (Ein Team, mit dem wir gesprochen haben, ließ es sich nicht nehmen, einen Bildschirmschoner für alle Projektbeteiligten zu programmieren, der nach dem Zufallsprinzip die Bilder, die Hintergründe und die Geschichten jeder Persona anzeigte.)

Vorteil 3: Die Rolle, die Personas in Rollenspielen spielen

Neben der Vermeidung des Groundings und dem anregenden Geschichtenerzählen müssen wir einen weiteren Aspekt würdigen, der uns aufgefallen ist: Die Wiederbelebung des Rollenspiels.

Schon als Kinder nutzen wir Rollenspiele, um die Welt besser zu verstehen. Indem wir vorgeben, eine andere Person zu sein, können wir die Dinge aus einer neuen Perspektive sehen und vergleichen, ob diese sich von unserer Sicht der Dinge unterscheidet.

Rollenspiele gehörten lange Zeit zum Prozess der Hard- und Software-Entwicklung, so haben beispielsweise die Apple-Leute in den 80er Jahren Comics und Spiele kreiert, um sich in das Leben ihrer Nutzer hineinzuversetzen und herauszufinden, wie sich verschiedene Produkte in deren Leben einfügen würden.

Wenn wir eine Rolle einnehmen beginnen wir, die Welt um uns herum aus der Perspektive dieser Person zu betrachten. Entspricht diese Rolle einer Persona, können wir herausfinden, wie der so abgebildete User mit der Anwendung umgehen wird. Nach und nach sehen wir Dinge, die uns sonst verborgen geblieben wären.

Alle Vorteile nutzen

Gute Personas sind kein Kinderspiel. Sie müssen sorgfältig und in mühevoller Handarbeit erstellt werden, um wirklich nützlich zu sein.

Sie müssen sehr detailreich sein, sie müssen konkret diejenigen Nutzergruppen abbilden, die das Team ansprechen will. Und die Grundlagen müssen die tatsächlichen Erfahrungen der realen User bilden; nur dann sind Personas glaubhaft und gewinnbringend.

Die erfolgreichsten Teams sind diejenigen, die ihre Personas ständig mit neuen Informationen füttern. Sie betreiben User-Forschung um zu verstehen, wer ihre Nutzer sind und welche Ziele sie haben. Diese Teams führen immer wieder User-Tests durch, um das Wissen über ihre Nutzer auszubauen. Sie sehen ihre Personas als lebendige, dynamische Muster-User, die sich durch neue Erkenntnisse und Erlebnisse ständig verändern und weiterentwickeln.

Personas sind ein wichtiges Hilfsmittel, stellen im Optimalfall einen fließenden Übergang zwischen Anforderung und Ergebnis sicher und führen zu klaren, nutzerfreundlichen Anwendungen. Die Vorteile von Personas werden mit ziemlicher Sicherheit dazu führen, dass diese Methode über kurz oder lang unverzichtbar wird.

Dieser Artikel wurde im Original am 22. Mai 2007 unter dem Titel „Three Important Benefits of Personas“ von Jared M. Spool veröffentlicht. Jared M. Spool gehört zu den führenden Usability-Experten unserer Zeit. Seine Website erreichen Sie unter http://www.uie.com. Weitere Artikel von Jared M. Spool finden Sie im Usability-Special von //SEIBERT/MEDIA.

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