Das Wesentliche an einem erfolgreichen Persona-Projekt

Personas sind flexible und leistungsfähige Werkzeuge, sie gehören aber auch zu den am häufigsten missverstandenen. Grundsätzlich lenken gute Personas den Fokus des Entwickler-Teams auf die Bedürfnisse der User und auf die Nutzungsfreude. Wie andere effektive Instrumente der Nutzerforschung liefern Personas wertvolle Einblicke und eröffnen Designern und Entwicklern wichtige Erkenntnisse darüber, wer die Nutzer sind, was sie benötigen und wann.

In den letzten Jahren haben wir viele Teams kennengelernt, die sich die Vorteile von Personas zunutze machen wollten, und einige sehr erfolgreiche Persona-Projekte verfolgt, aber auch etliche, die das Ziel knapp verfehlt haben. Wir verstehen jetzt besser, was die Magie von Personas ausmacht – und was das Wesentliche an einem erfolgreichen Persona-Projekt ist.

Verbesserte Methoden

Die Vorteile, die Personas zeitigen, sind nicht umsonst zu haben. Gewiss gewinnen manche Teams schon nach wenigen Stunden neue Erkenntnisse, aber am meisten lernt man aus einem Persona-Projekt, wenn man es als langfristige Investition versteht.

Es hat sich gezeigt, dass das Timing ein kritischer Faktor für den Erfolg von Persona-Projekten ist. Die Beteiligten müssen in der Lage sein, Herausforderungen proaktiv und systematisch zu bewältigen. Wenn das Team es mit einem ganzen Schwall von Feature-Wünschen und Erweiterungen zu tun hat, wird das Projekt schwer in Schwung kommen.

Gleichzeitig muss das Unternehmen bereit sein, dem ganzheitlichen Nutzererlebnis höchste Priorität beizumessen. Häufig ist das erst der Fall, nachdem irgendeine Usability-Katastrophe bereits hereingebrochen ist, und nicht selten wird sie von einem Faktor verursacht, der gar nicht unmittelbar mit Features oder Technologie zu tun hat.

Als beispielsweise nach dem Relaunch eines Online-Shops die Verkaufszahlen über Nacht um satte 35% eingebrochen waren, sah auch die Geschäftsführung endlich ein, dass sie mehr über das Nutzerverhalten ihrer Kunden in Erfahrung bringen musste. Vor dem verheerenden Unglück hatte das Hauptaugenmerk auf den Features und einem professionellen Design gelegen, nach dem Umsatzeinbruch war plötzlich die Nutzererfahrung wichtig. Personas wurden zur Priorität.

Weil die Entwicklung und Integration von Personas einige Zeit benötigt, ist für ihren effektiven Einsatz eine Beteiligung auf allen organisatorischen Ebenen erforderlich. Wenn das Unternehmen dem Team nicht die nötige Zeit und keine ausreichenden Mittel zur Verfügung stellt, wird das Projekt mit ziemlicher Sicherheit scheitern, wie es auch bei jedem anderen Vorhaben der Fall wäre. Wenn das geschieht, ist das Unternehmen wahrscheinlich noch nicht bereit.

Mit vorhandenen Informationen beginnen

Es ist überraschend, wie unkompliziert Persona-Projekte in die Wege geleitet werden. Wir waren davon ausgegangen, dass erfolgreiche Projekte von Anfang an mit intensiver Forschung einhergehen und schon in frühen Stadien erhebliche Ressourcen verschlingen. Damit lagen wir völlig daneben. Viele erfolgreiche Teams fangen mit der Sichtung der Informationen an, die im Unternehmen bereits vorhanden sind. Mithilfe von Techniken wie Tamara Adlins Ad-Hoc Persona Workshop werden diese Informationen zusammengetragen und das Persona-Projekt sehr schnell ins Rollen gebracht.

Solche Schnellstarts machen richtig Spaß und sind oft sehr inspirierend, denn der Fokus richtet sich von Beginn an auf die Bedürfnisse der Nutzer. Ein Schlüsselelement ist die Einbindung der Unternehmensführung. Ihre Teilnahme stützt die Arbeit, führt dazu, dass jeder vom Standpunkt der User aus agiert, und vereinfacht den Prozess der Persona-Klassifizierung signifikant.

Zuerst waren wir skeptisch, ob es gelingen würde, Personas auf der Grundlage vorhandener Informationen zu entwickeln, anstatt mit richtiger  Nutzerforschung zu beginnen. Wir waren sicher, dass dabei nur Personas entstehen konnten, die die tatsächlichen Zielgruppen nicht vollständig abdecken und das Nutzungsverhalten der realen User nicht repräsentieren.

Allerdings ging fast jedes Team, dem wir über die Schulter schauten, nach dem Schnellstart dazu über, sich mit realen Nutzern und den entsprechenden Aufgaben zu beschäftigen, beispielsweise mithilfe von Feldstudien. Sobald diese neuen Informationen hineinkommen, passen sie ihre Personas an und zeigen dem Management auf, inwiefern die internen Annahmen von der Wirklichkeit abweichen. Und weil die Unternehmensführung von Anfang an dabei gewesen ist, ist es auch leichter, die Mittel für die Nutzerforschung zu generieren.

Wir sind aber noch von einer zweiten Erkenntnis überrascht worden: Ein Team, das auf Basis der gleichen nicht optimalen Personas arbeitet, produziert immer noch weitaus bessere Ergebnisse, als eines, in dem sich jeder Beteiligte auf eine einzelne Nutzergruppe konzentriert und einer richtig liegt und der andere das Ziel verfehlt.

Wenn alle Team-Mitglieder die gleichen Personas nutzen, spricht das Team eine gemeinsame Sprache – selbst wenn die Personas noch nicht ins Schwarze treffen. Und je erfahrener Teams in der Nutzung von Personas sind, desto leichter fällt es ihnen, falsche Annahmen auszuräumen und neu gewonnene Einsichten einfließen zu lassen.

Woher wissen Sie, dass Sie Erfolg haben?

Bei vielen gescheiterten Persona-Projekten fixieren sich die Beteiligten auf die tatsächliche Realisierung der Personas. Sie gehen davon aus, dass sie tolle, hochwertige Umsetzungen benötigen, damit die Personas angenommen werden. Also investieren sie Unsummen in die Produktion von Postern, Bildschirmschonern und Slideshows, um ihre Personas bis ins Detail zu beschreiben.

Nun haben wir festgestellt, dass diese Hochglanzumsetzungen keineswegs so wichtig sind. Viele Teams beschreiben ihre Personas in ziemlich langweiligen, unscheinbaren Dokumenten und sind damit sehr erfolgreich. Stattdessen haben sich vier wirkliche Erfolgsfaktoren herauskristallisiert: das Verinnerlichen der Personas, das Schaffen ausdrucksstarker, realistischer Nutzungsszenarien, die Priorisierung der Personas und die Einbindung von Entscheidungsträgern.

Verinnerlichung der Personas: In erfolgreichen Persona-Projekten haben alle Beteiligten die gleichen prototypischen Nutzer im Kopf und sind in der Lage, sie so zu beschreiben und zu charakterisieren, als ginge es um ihre liebsten Romanfiguren. Sie haben die Personas verinnerlicht und wirklich werden lassen.

Ausarbeitung realistischer Nutzungssituationen: Alle Team-Mitglieder sind mit den Nutzungssituationen vertraut. Die Beteiligten tauschen sich über die persönlichen Hintergründe, die jeweils gewünschten Ergebnisse und die Vorgehensweisen der Personas aus. Jeder beschreibt das gleiche Nutzungsszenario, ganz so, als spräche man über ein gemeinsames Lieblingsmärchen.

Prioritäten setzen: Interessanterweise herrscht im Rahmen erfolgreicher Persona-Projekte von Beginn an Einvernehmen darüber, wie wichtig die einzelnen prototypischen Nutzer sind. Bisher sind wir davon ausgegangen, dass sich die Prioritäten je nach Projektstatus sozusagen automatisch verschieben, und müssen uns revidieren: Ein erfolgreiches Team weiß von vornherein, welche Personas am wichtigsten sind und welche gegebenenfalls geopfert können, wenn Kompromisse eingegangen werden müssen.

Beteiligung der Unternehmensführung: Ein vierter Erfolgsfaktor besteht darin, das erlangte Wissen über die Nutzer über das Kern-Team hinaus auf alle Leute auszudehnen, die irgendwie mit dem Projekt zu tun haben und in welcher Form auch immer Einfluss nehmen können. Wir haben Unternehmen kennengelernt, in denen auch das Management und selbst die Rechtsanwälte mit den Personas, den Nutzungssituationen und den Prioritäten bestens vertraut waren. Diese Leute erzählten uns von zahlreichen Meetings und Memos mit ausführlichen Beschreibungen von Personas, die Entscheidungen maßgeblich beeinflusst haben.

Es gibt einen einfachen Test, um Erfolg oder Misserfolg eines Persona-Projekts vorherzusagen: Sprechen Sie mit allen Team-Mitgliedern, den Geschäftsführern und allen Entscheidern und fragen Sie nach den wichtigsten Personas. Wenn Ihnen alle das Gleiche erzählen, haben Sie es mit einem Siegerprojekt zu tun. Plakate und Bildschirmschoner tragen kaum dazu bei, das Verständnis des Konzepts im Unternehmen zu verwurzeln – vielmehr sind es häufig stattfindende, ausführliche Diskussionen im Rahmen jedes Projektabschnitts.

Das Wesentliche in einem erfolgreichen Persona-Projekt

Ehrlich gesagt waren mein Team und ich drauf und dran, vom Glauben an Personas abzufallen – wir haben einfach zu viele Projekte trotz des Einsatzes von Personas scheitern gesehen. Zum Glück hatten wir zuletzt mehrere Gelegenheiten, erfolgreiche Projekte eingehend zu studieren und ausführlich mit Teams zu sprechen, deren Personas den angestrebten Nutzen auch tatsächlich erzielt haben.

Der Trick besteht darin, nicht zu hetzen. Es ist wichtig, dass das Unternehmen wirklich reif dafür ist, sich intensiv mit dem Nutzer, seinem Kontext und seinen Wünschen auseinanderzusetzen. Die Schnellstart-Methode funktioniert, wenn sich ihr richtige Nutzerforschung anschließt. Und vor allem müssen Personas mit Leben gefüllt und am Leben gehalten werden, und zwar durch Austausch und durch häufige Diskussionen – gerade wenn Entscheidungen anstehen. Dann erweisen sich Personas als sinnvolle Investition.

Dieser Artikel wurde im Original am 17. Februar 2010 unter dem Titel „The Essence of a Successful Persona Project“ von Jared M. Spool veröffentlicht. Jared M. Spool gehört zu den führenden Usability-Experten unserer Zeit. Seine Website erreichen Sie unter http://www.uie.com. Weitere Artikel von Jared M. Spool finden Sie im Usability-Special von //SEIBERT/MEDIA.

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