Konzeption und Design: Warum wir Skizzen anfertigen

Es war, als würde der Konferenzraum plötzlich hell erstrahlen, während die Anwesenden auf das Whiteboard starrten. Man spürte förmlich, wie sich ein kollektives Aha-Erlebnis einstellte: „Oooh, jetzt habe ich es verstanden!“

Dies war der Höhepunkt einer sehr verwirrenden Diskussion, bei der alle dachten, sie wüssten worüber gesprochen wurde, nur um dann festzustellen, dass jeder von etwas anderem redete. In einem Moment, in dem sich bereits Frustration breitgemacht hatte, ging ein junger Designer nach vorne zum Whiteboard und erklärte: „Das hier – ich glaube, darüber sprechen wir.“

Es stellte sich heraus, dass er falsch lag. Dennoch brachte sein Entwurf den Vater der Idee dazu, seinerseits zur Tafel zu eilen, den Stift zu ergreifen und den Fehler schnell zu korrigieren.

Das war der Moment, in dem die Gruppe ihr kollektives „Oooh!“ seufzte und der Raum sich erhellte. Der Groschen war gefallen. Bis hierhin hatten sie darüber gesprochen, was sie zu tun versuchen wollten. Nun konnten sie darüber reden, wie es getan werden soll.

Das Was war jetzt auf dem Whiteboard – und in allen Köpfen. Und zum ersten Mal war es auch überall das gleiche Was.

Visualisierung wirksam einsetzen

Wörter sind sehr mächtig, aber manchmal reichen sie nicht aus. Wir können versuchen zu beschreiben, was wir uns vorstellen, aber eine bildliche Darstellung bringt uns oft schneller auf eine gemeinsame Basis.

Als mein Team und ich die Fähigkeiten der besten Konzeptionierer und Designer untersucht hat, ist vom Skizzieren die Rede gewesen. All diese Fachleute arbeiten mit Skizzen und groben Entwürfen. Sie nehmen sich einen Stift und bringen ihre Idee zu Papier (oder in vielen Fällen auch aufs Whiteboard).

Wir haben uns genau angesehen, wie diese Leute ihre Skizzen machen. Die künstlerische Qualität dieser Zeichnungen kann durchaus variieren – die meisten sind nicht besonders ordentlich oder hübsch. Ihre nachlässig erscheinende Ausführung weist darauf hin, wie schnell sie entstanden sind. Wir haben gelernt, dass die Effektivität der Kommunikation wichtiger ist als die Schönheit der Darstellung. Und wir haben festgestellt, dass Grobentwürfe aus den unterschiedlichsten Gründen erstellt werden. Also haben wir angefangen, diese zu kategorisieren.

Skizzieren, um eine Idee zu kommunizieren

„Das hier versuche ich zu sagen …“

Wir haben eine Idee, und wir wollen sie in die Köpfe der anderen bringen. Eine Skizze ist eine gängige Möglichkeit, unsere Idee zu vermitteln.

Die in den Skizzen dargestellten Ideen reichen von konkret bis abstrakt. Sie können ein ganzes Bildschirm-Layout oder auch nur ein einzelnes Symbol darstellen. Eine Skizze kann auch eine Idee davon vermitteln, wie ein Dokument ein Unternehmen durchläuft oder wie die Module eines Systems miteinander verbunden sind.

Die Details, die wir in dem Entwurf präsentieren, sind diejenigen, die wir kommunizieren wollen. Alle anderen Details lassen wir absichtlich weg, damit es eine klare Kommunikation gibt.

Bill Buxton erklärt uns in seinem wegweisenden Buch Sketching User Experiences: Getting the Design Right and the Right Design, wie wichtig es ist, dass der Entwurf die ganze Tiefe unserer Gedanken darstellt. Eine grobe Idee verdient eine grobe Skizze, während eine wohldurchdachte Idee eine fein gezeichnete, ausführliche Darstellung rechtfertigt.

Skizzieren, um darzustellen, was wir sehen und hören

„Daran möchte ich mich später erinnern …“

Nach der "User Interface 14 Conference" im letzten Jahr haben uns die Notizen von Jason Robb über die Sessions umgehauen:

Bei der UX Australia in diesem Jahr hielt Rachel Hinmann die wichtigsten Punkte meiner Keynote-Präsentation auf eine fabelhafte Weise fest:

Skizzenhafte Notizen sind nichts Neues – Menschen machen sich seit Jahrhunderten solche Notizen. (Leonardo da Vincis Bücher sind voll davon.)

Diese Skizzen sind jedoch anders. Sie sind weniger dazu gedacht, anderen Leuten eigene Ideen zu kommunizieren, sie dienen vielmehr der Verstärkung unserer eigenen Ideen.

Genau wie bei schriftlichen Anmerkungen tritt ein verstärkender Effekt ein, wenn wir unsere Hände nutzen um festzuhalten, was wir erfahren. Die Details, die wir notieren – Bilder und wichtige Stichpunkte –, helfen uns dabei, die Information zu verinnerlichen und zu behalten. Mit Notizen in Skizzenform will der Schreiber etwas Gehörtes visualisieren und mit einer eigenen bildlichen  Darstellung verstärken.

Skizzieren, um etwas gedanklich durchzuarbeiten

„Wie wird das aussehen? …“

Ein weiterer Grund für das Skizzieren besteht darin, etwas gedanklich durchzuarbeiten. Hierbei macht sich der Konzeptionierer oder Designer die Unvollständigkeit der Skizze zunutze, um Löcher und Beziehungen zwischen Elementen zu identifizieren.

Dies ist eine Form des Ausbrütens: Die Leute holen die reifende Idee aus den Köpfen heraus und halten sie auf Papier fest, und zwar in einer absichtlich unvollständigen Form. Das kann übrigens sowohl eine Solo- als auch eine Gruppenaktivität sein.

Während sich der Entwurf nun entwickelt, geht einiges über Bord. Die Weiterentwicklung der Elemente spiegelt die Arbeit wider, die in der Ausarbeitung der Idee steckt.

Im Rahmen des Brainstormings können wir uns verschiedene Vorstellungen von der Zielidee machen: Der Designer entwirft die Idee neu und auferlegt sich dabei eine Reihe von Beschränkungen. Beispielsweise zeichnet er einen Screen für eine Desktop-Plattform und skizziert anschließend die gleiche Idee nochmals, aber mit den Einschränkungen einer mobilen Applikation. Beim Neuzeichnen der Idee stellt sich heraus, welche Elemente die Kernidee definieren und welche z.B. Plattform-spezifisch sind.

Skizzieren, um Gehörtes zu reflektieren

„Ich glaube, das hier willst du mir sagen …“

Wenn wir uns auf der Empfängerseite befinden, wissen wir häufig nicht, ob wir die Idee auch tatsächlich so empfangen, wie der Absender sie meint. Zeigen wir dem Sender nun mithilfe einer Skizze, wie wir den Gedankengang verstanden haben, können wir uns eine Rückversicherung holen.

Dies hat den Nebeneffekt, dass der Absender seine Idee nochmals durchdenken kann, da er sie vielleicht zum ersten Mal visualisiert sieht. So decken wir womöglich gemeinsam Schwächen der Idee auf. Die Diskussion und die Korrekturen wären ohne die Skizze wahrscheinlich gar nicht entstanden.

Skizzieren, um zu dokumentieren

„Bis hierher sind wir gekommen …“

Manchmal fertigen wir Skizzen an, um unsere Ergebnisse festzuhalten – ein Schnappschuss der bislang geleisteten Arbeit. Mit dem Nachdenken sind wir fertig und befinden uns alle am gleichen Punkt. Nun wollen wir visuell dokumentieren, wo wir uns befinden.

Wenn wir solche Skizzen erstellen, müssen wir freilich fragen, ob die Adressaten der Darstellung bei den Diskussionsrunden dabei waren, die uns an diesen Punkt gebracht haben. Wenn nicht, müssen wir sicherstellen, dass wir die entscheidenden Resultate aus den vorangegangenen Diskussionen mit in die Skizze aufnehmen. In vielen Fällen ist der Denkprozess hinter einer Darstellung genauso wichtig wie die Darstellung selbst.

Die Gründe verstehen, warum wir skizzieren

Das Wörterbuch definiert eine Skizze als einfache und hastig erstellte Zeichnung, die nur die wesentlichen Eigenschaften und keine Details enthält. Eine gute Skizze, selbst wenn sie schnell hingekritzelt wurde, kann ein leistungsfähiges Werkzeug für Konzeptionierer und Designer sein.

Wir waren fasziniert von den vielen Anwendungsfällen, in denen eine einfache Skizze weiterhilft. Wenn wir wissen, wann eine Skizze sinnvoll ist, können wir unseren Werkzeugkasten um ein tolles Instrument erweitern.

Dieser Artikel wurde im Original am 22. September 2010 unter dem Titel Why we sketch von Jared M. Spool veröffentlicht. Jared M. Spool gehört zu den führenden Usability-Experten unserer Zeit. Seine Website erreichen Sie unter http://www.uie.com. Weitere Artikel von Jared M. Spool finden Sie im Usability-Special von //SEIBERT/MEDIA.

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