Sinnvolle Variationen von User-Tests

Ein User-Test ist die Standardtechnik, wenn Teams verstehen wollen, wie ihre Nutzer mit der Anwendung interagieren. Die besten Teams führen solche Tests häufig durch und bieten jedem Teammitglied die Möglichkeit zu lernen, wo die Applikation Frust hervorruft und wo Freude.

In der einfachsten Form des User-Tests sehen wir Nutzern bei der Arbeit mit der Oberfläche zu. Wir konzentrieren uns auf das Verhalten des Users. Über das, was er sagt, finden wir heraus, was er tut. Klassische Nutzerforschung ist ein mächtiges Instrument.

Schnitzeljagd-Tests: Ein einfacher Blick auf Ihre Anwendung

Wenn Sie schon einmal einen User-Test geleitet haben, stehen die Chancen gut, dass es ein Schnitzeljagd-Test gewesen ist. In einem solchen Test geben Sie allen Teilnehmer eine Reihe von Aufgaben, die zu erledigen sind – ganz ähnlich wie bei Leuten, für die Sie eine Schnitzeljagd vorbereitet haben.

Die Versuchsanordnung der Schnitzeljagd ist einfach zu entwickeln. Wir identifizieren ein Set von Aktivitäten, die die User durchführen sollen, dann setzen wir den Teilnehmer hin und geben ihm die erste Aufgabe. Wenn wir ihn bitten, laut zu denken, lernen wir viel über die gedanklichen Prozesse, die er bei der Arbeit mit der Anwendung durchläuft.

Schnitzeljagd-Tests sind sehr hilfreich, wenn wir sehen wollen, wie die Oberfläche mit den wichtigen funktionalen Anforderungen klarkommt. Allerdings sind die Ergebnisse immer wieder mal unbrauchbar, weil die Teilnehmer sich für uns verstellen: Glücklich bewältigen sie ihre Tasks, auch wenn diese Aufgaben gar nichts mit ihrem wirklichen Leben zu tun haben. Deshalb funktionieren Schnitzeljagden nur dann gut, wenn wir genau wissen, wer die Probanden tatsächlich sind.

Interview-basierte Tests: Lernen, wie der Nutzer denkt

In Interview-basierten Usability-Tests können wir mehr darüber herausfinden, was die Nutzer wirklich mit unserer Oberfläche machen, indem wir ein realistischeres Szenario erschaffen, als das Schnitzeljagd-Modell es hergibt. Mithilfe dieser Methode erkennen wir, welche Ansätze die Nutzer mit unserer Anwendung verfolgen und welche individuellen Ziele sie haben.

Ein Interview-basierter Test beginnt schon mit der Art und Weise, die Probanden zu rekrutieren. Hier wählen wir nur Leute aus, die auch ein Bedürfnis nach unserer Anwendung haben. Wenn wir beispielsweise eine Oberfläche testen, mit der man seine Spesenabrechnung erstellt, rekrutieren wir auch nur Personen, die aktuell Spesenabrechnungen erstellen müssen.

Wenn sie dann zur Test-Session erscheinen, unterhalten wir uns mit ihnen über ihre Spesen. Wir erfahren, wie oft sie sie abrechnen, und lernen ihre organisatorischen Prozesse und ihre Erfahrungen kennen. Während dieses Interview-Teils (der normalerweise ein Drittel der Sitzung umfasst) erfahren wir vom Probanden, worum es bei der heutigen Spesenabrechnung konkret geht und woran er merkt, dass alles korrekt übermittelt worden ist. Mit diesen Informationen können wir die Aufgaben dynamisch entwickeln.

Im Gegensatz zum Schnitzeljagd-Test läuft diese Methode darauf hinaus, dass jeder Teilnehmer etwas anderes mit der Anwendung macht. Diese Tests basieren darauf, was die Leute tatsächlich tun, und deshalb lernen wir mehr darüber, wie gut die Oberfläche zu ihren Erfahrungen und gedanklichen Prozessen passt.

Paper-Prototyping-Tests: Neue Ideen ausprobieren

Im Rahmen einer weiteren Variante des Schnitzeljagd-Tests können wir neue Ideen für unsere Oberflächen ausprobieren. Beim Paper-Prototyping-Test erschaffen wir interaktive Modelle unserer Anwendung auf Papier. Die Teilnehmer erledigen dann Aufgaben im Stile eines Schnitzeljagd-Tests mit den Mockups der Oberfläche.

Man kann sicherlich elektronische Prototyping-Tools verwenden, aber ich bin der Ansicht, dass die Arbeit mit Papier das Team auf eine andere Ebene bringt. Wenn jedes Teammitglied Elemente beisteuert, können alle in das Nachdenken über das Design eintauchen. Mit einer elektronischen Lösung arbeiten in der Regel nicht mehrere Personen gleichzeitig: Einer beschäftigt sich mit dem Tool, die anderen bleiben beim Schaffensprozess weitgehend außen vor.

Außerdem lassen sich Änderungen mit Papier wirklich schnell umsetzen. Oft leiten wir vier Test-Sessions pro Tag und ändern den Prototypen dabei jedes Mal. In gerade mal einer Stunde kann das Team den Ansatz komplett umkrempeln, und mehr als die Zeichenkünste, die wir im Kindergarten erwerben, sind dazu nicht nötig.

Paper Prototyping hat seit Anfang der 90er seinen festen Platz im UX-Umfeld und ist jetzt wieder im Kommen. Es ist ein brillante Möglichkeit, Ideen auszuprobieren, ehe man in Code investiert.

Five-Second-Tests: Die unmittelbare Reaktion identifizieren

Five-Second-Tests sagen uns, ob Nutzer den Ansatz der Oberfläche in dem Moment erfassen, in dem sie sie sehen. Wenn nicht sofort klar wird, welchen Ansatz ein Bildschirm verfolgt, muss der Nutzer dekodieren, worin er bestehen könnte. Frustration kommt auf.

In einem Five-Seceond-Test zeigen wir den Usern eine Oberfläche für – wenig überraschend – fünf Sekunden. Dann bitten wir sie, alles aufzuschreiben, woran sie sich beim gerade Gesehenen erinnern. Übrigens arbeiten wir dabei häufig nicht mit Computerbildschirmen, sondern am liebsten mit Ausdrucken auf Papier. Das ist sehr bequem, wenn man einen Test in der Cafeteria, in der Bibliothek oder im Coffee-Shop durchführen will.

Im Fokus der Studie steht, woran sich der Nutzer erinnert (und woran nicht). Wir können diejenigen Dinge identifizieren, von denen wir wollen, dass der User sich an sie erinnert, nachdem er fünf Sekunden Zeit hatte, und die Oberfläche anpassen, bis die Tests ein konsistentes Ergebnis zu unseren Gunsten ergeben.

Five-Second-Tests funktionieren am besten bei diesen detaillierten Seiten tief in Websites oder Anwendungen. Sie funktionieren nicht gut bei Seiten, die so viele Funktionen abbilden müssen wie die Homepage einer Website. Hier sind Schnitzeljagden und Interview-basierte Tests die deutlich bessere Wahl.

Katalog-Tests: Die Content-Usability messen

Diese Variation haben wir erarbeitet, als wir den Online-Content eines Anbieters von Luxusreisen testen mussten, der auch einen wundervollen gedruckten Katalog hatte. Sie ist hilfreich, wenn man herausfinden will, ob tonnenweise Online-Inhalte in einer sinnvollen und nutzbaren Form organisiert sind.

Wir beginnen mit einer Papierkatalogversion der Inhalte. Wenn wir wie bei unserem Reiseanbieter schon einen Katalog vorfinden, sind wir fein raus. Doch es ist auch nicht schwer, einen solchen Katalog auf Basis der vorhandenen Webseiten zu erstellen, so wie wir es für ein State Highway Department getan haben.

Wir bitten die Teilnehmer, den Katalog mit einem Marker durchzugehen und alles zu kennzeichnen, was sie interessant finden. Dann fragen wir sie, warum das für sie interessant ist und welche Unklarheiten bestehen. Schließlich fordern wir sie auf, dieselben Informationen in der Online-Version der Inhalte zu finden.

So kommen wir Navigationsproblemen leicht auf die Schliche und entdecken, wo die Online-Übersetzung im Vergleich zum Katalog weniger gut nutzbar ist. Außerdem erfahren wir, wo zusätzlicher Content integriert werden sollte.

Experimentieren Sie mit Ihren Testanordnungen

Das Schöne an diesen verschiedenen Variationen ist, dass man sie verbinden und aneinander anpassen kann. Beispielsweise haben wir eine bestehende Oberfläche Interview-basiert getestet und die Session um einen Paper-Prototyping- sowie einen Five-Second-Test ergänzt. Auf diese Weise holen wir das Maximum aus der begrenzten Zeit heraus, die uns mit einem Probanden bleibt.

Je nachdem, für welche Testanordnung wir uns entscheiden, kann eine User-Test-Session zwischen 15 Minuten und mehreren Stunden dauern. Bei unserem längsten User-Test haben wir (jeweils über eine Woche verteilt) 20 Stunden mit jedem Teilnehmer zugebracht. Im Rahmen dieses Unikats haben wir Programmierern dabei zugeschaut, wie sie eine kleine Anwendung konzipiert, gestaltet und entwickelt haben. Wir haben den gesamten Prozess gesehen und unglaublich viel darüber gelernt, was ihn fördert und was ihn behindert.

Natürlich müssen Sie keine 20-stündigen Sitzungen durchführen, um Nutzen aus User-Tests zu ziehen. Allerdings wird die regelmäßige und häufige Konsultation der Nutzer Ihren Entwicklungsprozess dramatisch verbessern, zu besseren Entscheidungen führen und dabei helfen, inspirierende, innovative Nutzererlebnisse zu produzieren. Worauf warten Sie?

Dieser Artikel wurde im Original am 20. Dezember 2011 unter dem Titel Bending the Protocols: Useful Variations on Usability Tests von Jared M. Spool veröffentlicht. Jared M. Spool gehört zu den führenden Usability-Experten unserer Zeit. Seine Website erreichen Sie unter http://www.uie.com. Weitere Artikel von Jared M. Spool finden Sie im Usability-Special von //SEIBERT/MEDIA.

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