Drei wichtige UX-Lektionen aus Tech-Schlagzeilen des Jahres 2012

In drei der wichtigsten Technologienachrichten des letzten Jahres waren User Experience und Usability die großen Themen. Daran zeigt sich, welche Bedeutung dieses Feld heutzutage hat. Wenn wir einen Blick auf die Vorgeschichten der jeweiligen Beispiele werfen, können wir daraus wichtige Lektionen im Hinblick auf die Wichtigkeit unserer Arbeit ziehen und sie einmal aus einer globalen Perspektive betrachten.

Der Apple-Samsung-Patentstreit: UX definiert Qualität

Oberflächlich gesehen, geht es in dieser Story um eine Firma, die die Erfindungen einer anderen Firma ohne Erlaubnis genutzt hat. Apple warf Samsung vor – und das Gericht sah es ebenso –, einige zentrale iPhone-Patente verletzt zu haben. Samsung hätte Apple entweder für die Nutzungsrechte bezahlen oder eben eigene Innovationen entwickeln müssen.

Dringen wir aber tiefer ein, erkennen wir schnell die Schlüsselbotschaft des Prozesses: Tolle Nutzererlebnisse sind heiß begehrt und Unternehmen sind bereit, einiges dafür zu tun. Samsung hätte mit eigenen tollen Innovationen selbst hervorragende Nutzererlebnisse ermöglichen können, aber es war zu verlockend, sich das iPhone-Design einfach auszuborgen.

Wie verlockend? Das Gericht sprach Apple eine Milliarde Dollar zu. Wow, die Verlockung muss also wirklich groß gewesen sein!

Apple legte der Jury zwei entscheidende Beweise vor. Der erste war eine Zeitlinie, auf der die Samsung-Produkte vor und nach der iPhone-Einführung abgebildet waren. Vor dem iPhone sahen die Samsung-Geräte wie Blackberry- oder Palm-ähnliche Standard-Funktionstelefone mit einer Hardware-Tastatur aus. Nach der Einführung des iPhones aber glichen schon bald alle Geräte dem schwarzglasigen Rechteck, mit dem wir inzwischen so gut vertraut sind.

Vor dem iPhone-Debüt legte Samsung einigen Einfallsreichtum bei der Entwicklung seiner Produkte an den Tag. Danach sah es jedoch ganz so aus, als würden sie unbedingt dem hinterherhecheln wollen, was Apple da entwickelt hatte. Sie versuchten zwar inständig, alle davon zu überzeugen, dass es wirklich nur diesen einen Weg gäbe, ein Qualitätstelefon zu entwickeln. Doch das kaufte ihnen das Gericht nicht ab.

Samsungs QS-Dokumentation mit dem Vergleich zwischen dem iPhone (links) und dem Samsung-Produkt (rechts).

Es war jedoch der zweite Beweis, der tatsächlich zeigte, wie unglaublich vorsätzlich Samsung gehandelt hatte. Apple präsentierte ein 132-seitiges Dokument, das das Qualitätssicherungsteam von Samsungs Galaxy S1 erstellt hatte und in dem alle Unterschiede zwischen dem S1 und dem iPhone dokumentiert worden waren. In diesem Dokument wies das QS-Team die gewünschten Änderungen aus, die die Galaxy-Entwickler umsetzen sollten, und in allen 130 Fällen sollte das S1 iPhone-ähnlicher gemacht werden.

Hier lernen wir unglaublich viel darüber, was ein großartiges Nutzererlebnis ausmacht. Es ist faszinierend, wie sich das QS-Team von Samsung auf die kleinen Details fokussiert habt, die die Nutzer eines Produkts frustrieren. Jedes Grafik zeigte eine einzelne S1-Funktion und beschrieb exakt, was nötig war, um sie zu verbessern. Das Team zog Apples Entwicklung als Benchmark heran, und das Galaxy S1 konnte da nicht mithalten. Das gesamte Dokument können Sie hier herunterladen.

Dieses Dokument ist eine Schatztruhe für UX-Teams. Als launige Übung können Sie es ja nutzen, um spezifische Design-Prinzipien daraus zu extrahieren und für jedes Schaubild die Prinzipien identifizieren, denen Apple gefolgt ist und Samsung nicht. Damit die Übung noch mehr Spaß macht, analysieren Sie doch mal, wo Ihre eigenen Produkte diesen Prinzipien entsprechen und wo nicht.

Samsungs QS-Dokument zeigt, wie wichtig die kleinen Details sind, um tolle Nutzererlebnisse zu generieren. Für sich genommen, ist kein Detail besonders signifikant. Aber alle zusammen führen zum Tod durch tausend Nadelstiche.

Die Instagram-Übernahme: Entscheidung für stromlinienförmige Nutzererlebnisse

Eine weitere milliardenschwere UX-Lektion bietet Facebooks jüngste Entscheidung, Instagram, die Firma hinter der populären Foto-App, zu akquirieren. Sicher, jede Menge Unternehmen werden aus jeder Menge Gründen aufgekauft, aber Instagrm passte genau ins Facebook-Beuteschema, weil der Fotodienst schnell tonnenweise Nutzer generierte. Nach der Auslieferung der Android-Version verzeichnete Instagram 40 Millionen neue User in nur zehn Tagen.

Ein paar Monate zuvor hatte Facebook seine eigene Foto-App ausgeliefert, Facebook Camera. Doch die Camera-Adaption ging langsamer vonstatten und die Oberfläche erwies sich beim Teilen von Fotos als klobig. Instagram war für Facebook ein pfiffiger Kauf.

Instagrams stromlinienförmiges User Interface

Schon vor Facebook Camera gab es Dutzende Foto-Apps für iOS- und Android-Smartphones und Tablets. Aber keine wurde so beliebt wie Instagram.

Auf der ersten Blick sah es so aus, als wäre die Neuartigkeit der Instagram-Filter, mit denen man zum Beispiel neue Bilder wie Polaroids aus den 70-er Jahren aussehen lassen konnte, der kritische Erfolgsfaktor gewesen. Doch auch andere Kamera-Apps wie Path oder Hipstamatic hatten Filter und erweisen sich trotzdem als wenig populär.

Der Grund für den Erfolg von Instagram war subtiler und im reduzierten, schlanken Ablauf beim Aufnehmen von Bildern und Ansehen der Fotos anderer Instagram-User zu suchen.

Instagram machte es schnell und einfach möglich, ein Foto zu knipsen und es in beliebten Sozialen Netzwerken wie Twitter, Facebook, Flickr oder Tumblr zu teilen. Schnell geschossene und toll aussehende Fotos wurden zum festen Bestandteil der sozialen Streams der Leute. Der Ablauf, um ein gerade gemachtes Bild zu teilen, war der schnellste, den es gab.

Sehen wir genauer hin, erkennen wir, dass das wirkliche Geheimnis darin bestand, wie Instagram die Verringerung der Bildqualität und die Geschwindigkeit der Ergebnisse geschickt ausbalancierte. Als die Auflösungen der Kameras größer wurden, verlängerten sich die Upload-Zeiten anderer Kamera-Apps. Instagram dagegen reduzierte die Bildauflösung und schnitt die Fotos quadratisch zurecht. Somit konnten Bilder schnell hoch- und heruntergeladen werden.

Die App machte sich die neuen Geschwindigkeits- und Multitasking-Möglichkeiten der Smartphones zunutze, sodass die Leute Bilder fast in dem Moment sehen konnten, in dem sie gepostet wurden. So wurde eine Sharing-Plattform für Fotos etabliert, die alles bisher Dagewesene übertraf, inklusive Facebook.

Deshalb hat Facebook eine Milliarde in bar und in Aktien auf den Tisch geblättert. Sie wollten diese stromlinienförmige Anwendung selbst haben. Jetzt wissen wir also, was superschnelle Nutzererlebnisse wert sind.

Die Karten im iOS 6: In die Content-Qualität hineinzoomen

Die dritte Lektion ziehen wir nicht aus einer UX-Erfolgsgeschichte, sondern aus einer großen UX-Pleite. Apple wollte raus aus der Kontrolle und der Gebührenstruktur von Google und entschied sich dazu, die eigenen gerade akquirierten Kartenressourcen im soeben vorgestellten iOS 6 zu nutzen. Wie schwer kann es schon sein, eine tolle Mapping-Applikation zu erschaffen?

Es stellte sich heraus, dass es schwer ist, und zwar in Bereichen, an die man nicht unbedingt denkt. Apple tat das Richtige und investierte mächtig in die Funktionalitäten der neuen Mapping-App. In der Tat ist sie Feature für Feature betrachtet so ziemlich das Beste, was man kriegen kann.

Das neue Wegbeschreibungssystem ist wirklich unglaublich. Die Tatsache, dass es sich mit diesem coolen soundbasierten Hinweissystem um die erste Mapping-Software handelt, die blinde Menschen vollumfänglich nutzen können, ist schlicht und ergreifend wunderbar.

Ein Beispiel für die schlechte Content-Qualität der iOS-6-Karten

Aber all das bricht zusammen, wenn die Qualität des zugrunde liegenden Contents nicht dem Standard entspricht. Wie wir alle gehört haben, bleiben die iOS-6-Karten in vielen Fällen hinter den Erwartungen zurück, verorten wichtige Sehenswürdigkeiten falsch mitten in Seen und führen Leute in einen anderen Stadtteil, wenn sie nach einer Apotheke in der Nähe suchen.

Manchmal bemerkt man erst, wie wichtig etwas ist, wenn man es nicht mehr hat. Es war uns nicht bewusst, wie herausragend die Qualität der Google-Karten war, bis diese Qualität plötzlich nicht mehr zur Verfügung stand.

In vielen Fällen funktioniert User Experience genau so. Wir tolerieren eine schwache Darbietung, solange wir es nicht besser kennen. Aber wenn wir erst einmal wirklich tolle Nutzererlebnisse zum Vergleich heranziehen können, wundern wir uns schnell über die Unmengen an negativen Erfahrungen, die wir bisher klaglos über uns ergehen ließen.

Die wichtige Lektion, die uns die Kartenprobleme von Apples iOS 6 lehren, ist die, dass die Qualität des Contents an die Entwicklung der Funktionalitäten gekoppelt werden muss. Ein unerwarteter Abfall in Sachen Content-Qualität macht all den guten Willen zunichte, mit dem wir neue, innovative Funktionen erschaffen.

Große UX-Lektionen aus Tech-Schlagzeilen

Der Jahresbeginn ist auch die Zeit der Prognosen. Daher lehne ich mich mal etwas aus dem Fenster und prophezeie, dass wir aus künftigen Tech-Schlagzeilen weitere UX-Lektionen werden lernen können. User Experience ist heute die treibende Kraft hinter vielen wichtigen Geschäftsentscheidungen. Wir werden weitere Milliarden-Deals erleben, denen tolle Nutzererlebnisse zugrunde liegen. Und wir werden weitere große Katastrophen sehen, die auf unterdurchschnittliche Nutzererlebnisse zurückzuführen sind.

Durch die Bestandsaufnahme lernen wir, was unseren Stakeholdern wichtig ist und wie wir die Fehler vermeiden, die andere gemacht haben. All die Aufmerksamkeit, die User Experience und Usability genießen, ist eine ziemlich gute Sache, wie ich finde.

Dieser Artikel wurde im Original am 2. Januar 2013 unter dem Titel 3 Big UX Lessons Ripped from 2012 Tech Headlines von Jared M. Spool veröffentlicht. Jared M. Spool gehört zu den führenden Usability-Experten unserer Zeit. Seine Website erreichen Sie unter http://www.uie.com. Weitere Artikel von Jared M. Spool finden Sie im Usability-Special von //SEIBERT/MEDIA.

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