Lean Startup: Ein mehrseitiges Business modellieren (Teil 1)

Heute werde ich zeigen, wie man mithilfe des Lean Canvas ein mehrseitiges Geschäftsmodell modelliert. Produkte wie Facebook, Google, Twitter und YouTube fallen in diese Kategorie.

Dieser Artikel baut auf einem früheren Beitrag über die Modellierung direkter Geschäftsmodelle auf. Ich empfehle, jenen zuerst zu lesen, falls Sie das noch nicht getan haben.

Anders als bei einem direkten Geschäftsmodell, wo Ihre Nutzer zu Ihren Kunden werden, ist ein mehrseitiges Geschäftsmodell ein Modell mit mehreren Akteuren; Ihre Nutzer und Kunden sind getrennte Segmente.

Zur einfachen Unterscheidung:

User nutzen das Produkt, während Kunden für das Produkt zahlen.

Die mehrseitige Geschäftsmodell-Story

Jedes Geschäftsmodell muss in der Lage sein, die Story davon zu erzählen, wie es Mehrwert erschafft, ausliefert und einfängt.

multi sided business model

In einem direkten Geschäftsmodell wird Wert geschaffen und an Nutzer ausgeliefert, und wenn ein Teil dieses Werts in Form von Geld zurückfließt, sind diese User dann zu Kunden konvertiert worden.

Wenn Sie mehr Wert für Ihre Kunden erschaffen als zu Ihnen zurückfließt, haben Sie normalerweise ein verlockendes Wertversprechen. Wenn Sie mehr Wert generieren, als Sie das Ausliefern kostet, haben Sie normalerweise ein nachhaltiges Geschäftsmodell.

In einem mehrseitigen Modell hat diese Geschichte allerdings zwei Seiten. Auch hier ist das Ziel, Wert zu erschaffen und auszuliefern und von Usern einzufangen, doch dieser Wert wird durch andere Kunden monetarisiert, sodass es zu einem Modell mit mehreren Akteuren wird.

Nehmen wir Facebook als Beispiel. Als soziales Netzwerk schafft Facebook Mehrwert und liefert ihn an Kunden aus, aber es kassiert seine Nutzer nicht direkt ab. Aber dennoch fließt ein Teil des Wertes durch eine derivative Währung an Facebook zurück, die Aufmerksamkeit der Nutzer in diesem Fall.

Facebook handelt diese derivative Währung dann auf einem Sekundärmarkt von Werbetreibenden (ihre Kunden), die dafür zahlen, diese Nutzer zu erreichen.

Eine ganz ähnliche Geschichte können wir von Googles Suchmaschinengeschäft erzählen, wenn wir die Suchmaschine durch das soziale Netzwerk ersetzen.

In beiden Beispielen ist die derivative Währung Aufmerksamkeit, die monetarisiert wird, indem Aufmerksamkeit (der Nutzer) in Klicks für Werbetreibende (die Kunden) konvertiert wird.

Aufmerksamkeit ist nicht die einzige Art von derivativer Währung. Andere Beispiele derivativer Vermögenswerte, die auf ähnliche Weise auf Sekundärmärkten gehandelt werden können, sind nutzergenerierter Content (wie bei YouTube) und Big Data (wie im Modell von Kout).

Die Story des Geschäftsmodells einfangen

Bei der Modellierung eines mehrseitigen Geschäftsmodells auf einem Lean Canvas sollte man damit beginnen, unter Kundensegment (Customer Segment) beide Akteure (Nutzer und Kunden) zu benennen und dann diesem dreiteiligen Prozess zu folgen:

1. Nutzer vor den Kunden modellieren

Der Grund dafür ist, dass Nutzer typischerweise das riskantere Segment in diesen Modellen sind. Wir können zum Beispiel ziemlich sicher sein, dass ein Werbekunde "etwas" zahlen wird, um ein Zielpublikum zu erreichen, das "groß genug" ist. Ich komme noch dazu, wie man dieses "Etwas" beschätzen könnte, doch zunächst ist die dringendere und riskantere Frage die, wie wir die Aufmerksamkeit eines ausreichend großen Zielpublikums erlangen.

Wert kann erst zurückfließen, wenn Mehrwert für die Nutzer geschaffen wurde. In anderen Worten: Zuerst müssen wir das angehen, was für unsere User drin ist. Dieses "Versprechen" tragen wir im Feld Unique Value Proposition ein.

Als nächstes identifizieren wir das Quid pro quo, also wie wir einiges von diesem Wert von unseren Nutzern zurückerhalten können. Das ist die derivative Währung im Feld für Revenue Streams, Umsatzströme.

So könnte ein frühes Lean Canvas für Facebook ausgesehen haben:

Facebook Canvas

Anmerkungen:

  • Ich bin davon ausgegangen, dass die ursprüngliche Vision von Facebook sich nur ganz am Anfang um College-Studenten drehte und später erweitert wurde. Andernfalls hätte ich oben das gesamte adressierbare Segment platziert (einen viel größeren Mainstream-Markt), mit College-Studenten als Early Adopter.
  • Das Versprechen oder UVP ist hier, sich mit engen College-Freunden (vs. Fremden) zu verbinden und Dinge mit ihnen zu teilen.
  • Die derivative Währung ist die Aufmerksamkeit der Nutzer, die ich in Form der durchschnittlichen Zahl der monatlichen Page-Views pro User messe.
  • Ich habe zudem ein minimales Erfolgskriterium mit dem Ziel definiert, innerhalb von zwei Jahren eine Bewertung von 100 Mio. Dollar zu erreichen. Sie erinnern sich: Es gibt hier keine richtige und falsche Antwort, und diese Zahl ist eher eine Funktion persönlicher Ambitionen und anderer Analogs, die diese Ambitionen unterstützen. Zur Zeit des Facebook-Launchs wuchsen mindestens zwei andere Analogs (Frienster und MySpace) im ersten Jahr auf Bewertungen um die 50 Mio. US-Dollar. Wir wissen auch, dass MySpace versucht hatte, Facebook nach deren erstem Jahr zu übernehmen; der von Mark Zuckerberg aufgerufene Preis von 75 Mio. Dollar war ihnen dann aber zu hoch. Also war Zuckerbergs minimales Erfolgskriterium zumindest zu diesem Zeitpunkt eine Bewertung von 75 Mio. nach einem Jahr (Quelle).

2. Die Kunden modellieren

Nach der initialen Modellierung der User ist es Zeit, sich den Kunden zuzuwenden. Wenn Sie das auf Papier tun, können Sie alles auf ein und derselben Seite abbilden, indem Sie verschiedene Farben für die Akteure nutzen. Falls Ihnen der Platz ausgeht, nutzen Sie einfach zwei Canvas'.

Wenn Sie mit dem webbasierten Lean-Canvas-Tools arbeiten, können Sie das coole Hashtag-Feature nutzen, das es Ihnen erlaubt, beide Seiten ganz einfach auf einem Canvas zu modellieren.

Das funktioniert so:

  • Sie verschlagworten die Akteure in Ihrem Geschäftsmodell mit unikalen Hashtags wie #nutzer und #kunde. Dadurch werden diese Kundensegmente automatisch farbkodiert.
  • Sie können diese Hashtags überall auf dem Canvas nutzen, um einen Bezug zu #nutzer oder #kunde hervorzuheben.
  • Über die Buttons über dem Canvas können Sie zwischen den verschiedenen Ansichten hin- und herwechseln.

So könnte die Kundenseite des Facebook-Modells ausgesehen haben:

Facebook Canvas 2

Anmerkungen:

  • Hier ist das Problem/Versprechen für Werbetreibende so alt wie das Werben selbst: "Hilf mir, mehr Leute mit einem höheren ROI zu erreichen." Die bestehenden Alternativen waren ebenfalls allseits bekannt, denn Online-Werbung war bereits ein reifer Markt. Das größere Problem bestand darin, die Werber dazu zu bringen zu glauben, dass eine Anzeige in einem sozialen Netzwerk genauso oder besser performen würde als eine Anzeige in einem Suchmaschinen-Kontext.
  • Aus den obigen Gründen muss ich auf dem Canvas nicht so sehr in die Tiefe gehen, um die Motivation der Kunden zu modellieren. Das muss aber nicht immer so sein. Im Zusammenhang mit Big Data möchten Sie zum Beispiel vielleicht ein Mobile-Game bauen, das Daten von den Nutzern sammelt, die Sie dann an Krankenversicherungs-Anbieter verkaufen. Ich kann mir jede Menge Unsicherheiten auf beiden Seiten vorstellen.
  • Unter den Umsatzströmen habe ich drei Hauptansätze für das Pricing von Online-Werbung platziert: Cost Per Thousand Impressions (CPM), Cost Per Click (CPC) und Cost Per Acquisition (CPA). Dazu gibt es hier eine kurze Einführung.

Im zweiten Teil dieses Artikels zeigt der Autor, wie schließlich der Wechselkurs für die derivative Währung berechnet werden kann.

Dieser Artikel wurde im Original am 30. September 2014 unter dem Titel How to Model a Multi-sided Business von Ash Maurya veröffentlicht. Ash Maurya gehört zu den führenden Köpfen der internationalen Gründerszene und ist einer der renommiertesten Experten für Lean Startup und Customer Development. Seinen Weblog finden Sie unter http://practicetrumpstheory.com. Die Website seines Unternehmens Spark59 erreichen Sie unter http://spark59.com. Mehr Fachartikel bietet unser Lean-Special.

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