Wie wir den Todeszeitpunkt der internen E-Mail verpasst haben

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Ich verbringe am Tag vielleicht fünf Minuten mit internen E-Mails – wenn's hoch kommt! Die allermeisten davon kommen nicht von Menschen, sondern sind Benachrichtigungen aus diversen Systemen. In der letzten Woche habe ich genau null interne Mails geschrieben. Und das, obwohl ich gar nicht in Wiesbaden im //SEIBERT/MEDIA-Office arbeite, sondern als "Remote"-Mitarbeiter in Potsdam sitze und mich nicht mal eben über den Monitor hinweg persönlich mit meinen Kollegen abstimmen kann.

Früher ...

Als ich 2007 bei //SEIBERT/MEDIA angefangen habe, war das ganz anders: Die interne E-Mail war ein schwerst genutztes Werkzeug. Aufgaben, Abstimmung und Feedback zu Arbeiten, Diskussionen, Freigaben, Ankündigungen – alles kam per E-Mail rein. (Es gab sogar einen Verteiler fun@seibert-media.net, über den wir mehr oder weniger lustige Sachen per Mail untereinander verschickt haben.)

Und es war oft aufwändig und anstrengend. Jeder dürfte die Situation kennen: Eine Antwort auf eine Mail landet im Postfach, die man gar nicht selbst geschrieben hat. Dann lese ich den Text, den ich inhaltlich erstmal gar nicht richtig einordnen kann, unter drunter steht schließlich: "Matthias: Was meinst du?"

Was ich dazu meine? Tja, keine Ahnung! Nun heißt es also, erstmal die Diskussion nachzuvollziehen und zu verstehen, die vier Leute oder so vorher per Mail geführt haben, ehe ich hinzugezogen und um meine Meinung dazu gebeten worden bin. Jedes Mal ein Aufwand von mindestens einigen Minuten. Und so etwas war damals keine Ausnahme, sondern gang und gäbe!

Oder interne Mails mit CC. Eine Nachricht ist im Posteingang, an Kollege A gerichtet, ich bin nur einkopiert. Die lese ich, okay. Dann kommt Antwort #2 von Kollege B und Antwort #3 von Kollege C rein, und ich stehe jedes Mal in CC, werde aber nicht persönlich angesprochen. Muss mich das Thema nun interessieren? Oder ignoriere ich das alles einfach?

Oder Dokumente im Anhang. Mit Grausen erinnere ich mich zum Beispiel an die Abstimmung zu unseren Kundenbroschüren zu Themen wie Firmenwikis, SEO und Hosting. 2008 müsste das gewesen sein. (Wir hatten zwar schon ein internes Wiki, aber viel, viel interne Kommunikation hat trotzdem noch per Mail stattgefunden.) Was da an PDFs in den unterschiedlichsten Iterationen und an Anmerkungen zu den diversen Zwischenständen per Mail hin und her ging - chaotisch und ganz furchtbar!

Oder die E-Mail an alle, die dann doch für niemanden relevant war ... Aber lassen wir das.

Es gibt noch etliche weitere Beispiele dafür, wie ineffektiv, ineffizient und oftmals nervtötend wir früher intern per Mail kommuniziert haben. Wer heute noch so arbeiten muss, hat mein ehrliches Mitgefühl.

... und heute

Aber wie gesagt: Die Zeiten sind vorbei – und nicht nur für mich, sondern offenbar für uns alle hier. Vor ein paar Tagen hat mein Kollege Martin Seibert im Microblog unseres Intranets dies gepostet:

Ich höre gerade "Under new Management". Der Autor schlägt darin vor, interne Mails von Mitarbeiter zu Mitarbeiter komplett zu deaktivieren oder zumindest zu limitieren. Was haltet Ihr davon? Ich bin ziemlich skeptisch, ob eine solche "Bevormundung" hilfreich sein kann. Wofür nutzt Ihr Eure internen Mails heute? Schickt Ihr überhaupt noch intern Mails?

Und das sind die Antworten einiger Mitarbeiter:

In der Zeit, in der ich jetzt hier bin (seit 1.3.), kann ich die Zahl der Mails, die ich aktiv an interne Leute hier geschrieben habe, gefühlt an einer Hand abzählen. Eine Limitierung oder gar Abschaltung würde mich persönlich darum nicht sehr stören, fände sie aber auch nicht nötig.

Vor meiner Zeit hier habe ich am Tag gefühlt 50 Mails geschrieben, jetzt sind es zwei pro Woche (wenn überhaupt).

Ich kann mich nur anschließen. Zu meiner Anfangszeit sah das noch etwas anders aus, aber //SEIBERT/MEDIA hat sich stark weiterentwickelt und ich habe nun kaum noch Mail-Verkehr, der intern bedingt ist.

Intern verschicke ich eigentlich nur Mails, wenn ich eine Kunden-Mail an jemanden weiterleite oder dem Team sage, dass ich an bestimmten Tagen (Urlaub) nicht da bin.

Ja, es siehst ganz so aus, als hätten wir die interne E-Mail (so gut wie) gekillt! Wie kam das? Ein ganzes Bündel von Veränderungen und Neuerungen über die letzten Jahre hinweg hat Schritt für Schritt dazu geführt.

Kommunikation im agilen Prozess

Hier im Blog kann man ausführlich nachlesen, wie diverse Kollegen die Transformation des Unternehmens von der klassisch geprägten zur agilen Organisation reflektiert haben. Ich will darauf an dieser Stelle also nicht weiter eingehen und hier nur die Rolle der persönlichen Kommunikation im Team hervorheben.

Vor allem das Daily Standup, zu dem wir im Team täglich um 10:45 Uhr zusammenkommen, hilft schon, Einiges an digitaler Kommunikation zu vermeiden. (Ich bin per Hangout zugeschaltet und auf einem großen Bildschirm an der Wand des Teambüros zu sehen.) Jeder weiß, was die einzelnen Leute im Team tagsüber machen werden. Alles ist auf dem Radar. Wo Zusammenarbeit nötig ist, kann das direkt im Standup bereits abgestimmt werden. Niemand muss per E-Mail nachfragen: "Hast du das auf dem Schirm?"

Confluence

Über Confluence, das die Basis unseres Intranets bildet, ist eigentlich alles gesagt. Es gibt keine bessere Plattform, um zentral gemeinsam an Inhalten zu arbeiten, Dinge zentral abzulegen und einfach effektiv digital zusammenzuarbeiten. Der Editor schlägt sowieso alles.

Wer Confluence in seinem Intranet hat, dem bleibt Dateichaos, wie ich es eingangs beschrieben habe, für alle Zeiten erspart. Und viele andere E-Mail-Unannehmlichkeiten auch.

Microblog

Die oben zitierte Kommunikation hat im Microblog unseres Intranets stattgefunden. Das ist der perfekte Ort für solch einen Austausch: Ideen und Neuigkeiten schnell teilen, auf interessante Inhalte hinweisen, Feedback einholen, Fragen diskutieren, die für mehrere Leute von Interesse sein könnten - dazu dient dieses Tool.

Früher hätte Martin dieses Thema entweder nicht mit den Kollegen geteilt (und also auch kein Feedback dazu einsammeln können), oder er hätte das per E-Mail getan - schlimmstenfalls mit einer an all@seibert-media.net. Diverse Empfänger hätten dann einfach auf Allen antworten geklickt und ihren Senf dazugegeben. Die gesamte Belegschaft müsste sich mit den entsprechenden Mails rumplagen, die viele vielleicht gar nicht interessieren oder die in jedem Fall nicht für alle relevant sind.

Und vielleicht hätte ganz unten dann irgendwann gestanden "Matthias: Was meinst du?" ...

JIRA

Es gibt Leute, denen ist JIRA zu groß und mächtig. Es ist auch groß und mächtig, aber mich persönlich muss das gar nicht interessieren. Ich brauche keine Dashboards zu konfigurieren, Workflows anzulegen und mit Custom Fields zu jonglieren. Ich brauche das digitale Kanban-Board unseres Teams und meine aktuell zu bearbeitenden Vorgänge. Das habe ich in JIRA.

Aufgaben liegen hier zentral, beschätzt und dank unserer Definition of Ready auch mit allen nötigen Infos versehen vor. Abstimmung erfolgt gegebenenfalls direkt in den Ticket-Kommentaren. Der aktuelle Stand der Arbeit ist für das Team ersichtlich (es sei denn, ich habe wieder geschlampt und das Ticket nicht aktualisiert, aber da greift dann die soziale Kontrolle seitens der Kollegen recht schnell 😉 ) Die Ergebnisse werden hier und nach der QS auch im Review-Dokument in Confluence dokumentiert.

Anno dazumal wäre jedes Ticket eine E-Mail gewesen, also dezentral und nicht zu tracken, oft mit mehreren CC-lern und mit diversen Antworten. Heute zum Glück undenkbar!

Der Rockstar: HipChat

Speziell für mich als Remote-Mitarbeiter war die Einführung von HipChat ein echter Glücksfall - Flurfunk-Ersatz, wichtigstes Tool zur Abstimmung mit den Teammitgliedern und anderen Kollegen im Unternehmen, die schnellste Kommunikationsmöglichkeit nach dem persönlichen Gespräch. Der Client ist wie die inzwischen sehr gute mobile App schlank, flott und gut nutzbar.

Wir haben für unser Team den offiziellen HipChat-Raum Marketing und zusätzlich unseren geschlossenen Chat Schweinhorn, in dem wir Dinge auch unter Ausschluss der breiten Öffentlichkeit diskutieren und auch mal Off-Topic sein können, ohne andere mit Rauschen zu stören.

Mein Haupt-Anwendungsfall ist aber der Eins-zu-eins-Chat. Da spielen sich dann manchmal ganz kurze Gespräche wie dieses mit Torsten ab, Entwickler in unserem Marketing-Team:

"Matze, ich möchte ein Update im Blog einspielen. Kann ich?"

"Ja, leg los. Ich bin gerade nicht in WordPress."

"kk"

Das ist eine Sache von vielleicht zehn Sekunden.

Früher hätte Torsten eine Mail geschrieben und dann entweder auf meine Antwort gewartet oder, falls diese nicht prompt gekommen wäre, einfach das Update durchgeführt. Wäre ich zu diesem Zeitpunkt gerade in WordPress zugange gewesen, wären höchstwahrscheinlich einige redaktionelle Arbeiten erstmal futsch gewesen. Oder er hätte eine Mail geschrieben, später dann ungeduldig zum Telefon gegriffen und ... naja, Sie wissen schon, effizient geht anders.

Das ist nur ein Beispiel. Ein anderes ist die Abstimmung mit Inga, unserer PO. Das sind manchmal genauso kurze, manchmal aber auch längere Chats. Wenn wir etwa die Backlog-Tickets besprechen, die wir in dieser Woche anpacken wollen, machen wir das im Eins-zu-eins-Chat. Wir gehen die mir zugewiesenen Tickets durch, diskutieren Unklarheiten, beschätzen. Das ist meist in 10, 15 Minuten erledigt. Schneller ginge es wohl nur, wenn wir zusammen vorm Bildschirm sitzen würden, wenn überhaupt.

Oder Martin: Wenn es ein komplexeres Thema zu besprechen gibt, greifen wir oft schnell zum Video-Call, gegebenenfalls mit Desktop-Sharing. Zugehörige Links zu Intranet- oder Extranet-Inhalten können dabei schnell ins Chat-Fenster gepackt werden, und wir gehen sie durch, ohne den Kontext wechseln zu müssen.

(Ja gut, das könnte man ja auch per Telefon klären, mag man einwenden. Klar. Und die Links zu weiteren Infos und solche Dinge schickt man sich dann doch wieder per E-Mail und tanzt somit auf zwei Hochzeiten - Telefon und Mail. Und bei Rückfragen ruft man halt nochmal an oder mailt. Willkommen zurück im Jahr 2007. 😀 )

Um aber nicht missverstanden zu werden: HipChat ist kein Tool, das sich ausschließlich an räumlich weit verteilte Teams in unterschiedlichen Städten oder gar Ländern richtet. Verteilt ist, wer nicht am selben Tisch sitzt. (Das //SEIBERT/MEDIA-Office ist viele hundert Quadratmeter groß.) Und selbst Teams, die tatsächlich am selben Tisch sitzen, hilft HipChat: Rufen Sie zum Beispiel einem Ihrer sieben Kollegen eine Frage zu, unterbrechen sie sechs Unbeteiligte; klären Sie das dagegen per HipChat, bleiben die anderen im Flow und allen ist geholfen. Und multiplizieren Sie das tägliche Reinrufen mal auf ...

Ein evolutionärer Prozess, den man fördern kann

Durch die sukzessive Einführung dieser Ansätze und Tools sind interne E-Mail bei uns weitgehend ausgestorben. Es war ein evolutionärer Prozess. Als ich hier anfing, war die Mail wie ein hässliches Dornengebüsch allein auf der weiten Heide. So rein gar nicht hübsch, doch was anderes gab es nicht. Dann wurden nach und nach Samen gelegt und gehegt, die sich schnell zu eleganten, mächtigen Bäumen rund um den Busch entwickelten. Ihre Kronen nahmen dem Strauch das Sonnenlicht, ihre Wurzeln absorbierten das Wasser. Schließlich ging er ein, ohne dass jemand es bewusst wahrgenommen hätte. Todeszeitpunkt unklar.

Das Bemerkenswerte an alldem: Die Mitarbeiter bei uns sind freiwillig auf diese Werkzeuge umgestiegen. Niemand hat die interne Mail verboten. Wir haben einfach in der täglichen Praxis gelernt, dass die E-Mail für die interne Kommunikation eines der denkbar schlechtesten digitalen Werkzeuge ist. Man muss nur sinnvolle und geeignete Alternativen haben. Und das Gefühl dafür, wann man auf welches alternative System setzt, stellt sich nach meiner Erfahrung von ganz alleine ein.

Natürlich kommt es immer auf das Umfeld an. Ein IT-Unternehmen wie unseres adaptiert solche modernen Tools und Kommunikationsformen leicht. Andere Organisationen tun sich schwerer. Eine mitarbeiterzentrierte Kultur der Transparenz ist definitiv hilfreich und wohl auch unumgänglich. Und ein paar Kollegen, die als "Evangelisten" Pioniereifer an den Tag legen und unbeirrt vorleben, wie es gehen könnte, werden nie schaden (und sind in manchen Fällen auch notwendig).

Wir sehen auf jeden Fall bei vielen neuen Kollegen, wie sie die neuen Möglichkeiten dankend annehmen und sich von der Mail verabschieden, ohne ihr eine Träne nachzuweinen.

Sie sind skeptisch? Falls es Ihr Zeiterfassungssystem hergibt: Werten Sie doch mal aus, wie viel Sie und Ihre Mitarbeiter auf Arbeitspakete wie Interne Kommunikation buchen. Und dann gleichen Sie das mal mit meinen "fünf Minuten pro Tag, wenn's hoch kommt" ab. 😉

Weiterführende Infos

Bestandsregulierung für das E-Mail-CC
E-Mail-Tipps: Martin Seibert im Interview mit WDR.de
HipChat: Schneller Einstieg in die effektive Nutzung im Team
Atlassian-Tools in der internen Organisation bei //SEIBERT/MEDIA: Confluence, JIRA, HipChat


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