Lean Startup: Der Entrepreneur mit den tausend Gesichtern (Teil 1)

In "The Hero with a Thousand Faces" hat Joseph Cambell ein erzählerisches Muster für die archetypische Reise eines Helden beschrieben. Die Geschichte jedes Helden, von Luke Skywalker bis Neo, folgt dieser Struktur.

Ich wollte mal erkunden, ob es so ein archetypisches Muster auch für Entrepreneure gibt. Sie basiert auf meiner eigenen sieben Jahre langen Reise, aber ich habe die Geschichte mit genügend Entrepreneuren geteilt und ich habe genügend erfahrene Entrepreneure interviewt, um anzunehmen, dass sie exemplarisch ist.

Stadium 1: Entrepreneure sind Künstler (Erschaffung)

Wie viele Entrepreneure war ich anfangs von einem unerklärlichen Bedürfnis getrieben, etwas Großartiges zu erschaffen. Etwas so Einzigartiges zu entwickeln, dass es die Welt verändert.

Ich startete mein erstes Unternehmen 2002 mit der Vision, alle Menschen auf dem Planeten miteinander zu verbinden, inspiriert vom Konzept der "Sechs Grade der Trennung" – jeder von uns ist mit allen anderen über sechs Leute oder weniger verbunden.

Ja, das war die Basis dessen, was schließlich zu Social Networking wurde.

Wie viele Leute, die zum ersten Mal als Entrepreneur aktiv sind, arbeitete ich klammheimlich.

Ich hatte das Gefühl, dass diese Idee so vielversprechend war, dass ich, wenn ich auch nur einer Person davon erzählte, ehe meine Implementierung der Idee fertig wäre, meinen Pioniervorteil in Gefahr brächte.

Ich behielt den Kopf für mehr als ein Jahr unten und fokussierte mich darauf, mein Produkt mit einem kleinen Team zu entwickeln, das ich zur Geheimhaltung verpflichtet hatte. Aber trotz meiner Bestrebungen kam das Geheimnis heraus.

Als wir ungefähr drei Monate vor dem Launch standen, rollte Friendster sein sozialen Netzwerk aus – und ein halbes Dutzend weiterer Dienste folgte schnell.

Man kann eine Idee nicht aufhalten, deren Zeit gekommen ist.

Trotz meiner Geheimhaltungsbemühungen waren andere bei exakt derselben Idee angekommen. Das ist kein einzigartiges Phänomen. Das Telefon wurde gleichzeitig und unabhängig von zwei unterschiedlichen Erfindern entwickelt. In genau diesem Moment gibt es mindestens eine Handvoll Leute irgendwo auf der Welt mit exakt derselben Idee, die Sie haben.

Aber hier ist der Clou:

Der Erste zu sein, ist kein unfairer Vorteil, sondern ein unfairer Nachteil.

Ich versuchte es mit Geheimhaltung, um einen Pioniervorteil zu haben, aber fast alle Pioniere in diesem Bereich (inklusive Friendster) sind nicht mehr da. Der bis jetzt größte Gewinner, Facebook, war nicht Erster.

Sie waren ungefähr Nummer zwölf in der Reihe. Auch das ist kein einzigartiges Phänomen. Während der Ideenfunke die Dinge zwar ins Rollen bringt, ist es keine Erfolgsgarantie, der Erste zu sein, und es gibt Belege dafür, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Nehmen wir all diese Unternehmen: Microsoft, Apple, Google, Ford, Toyota und Facebook.

Keiner von ihnen war Erster (aber sie sind in ihren respektiven Kategorien die Bekanntesten). Stattdessen waren sie alle schnelle Nachfolger, die die ersten Pioniere in ihren jeweiligen Märkten geschlagen haben.

Ich würde behaupten, dass es kein unfairer Vorteil ist, wirklich Erster zu sein; es kann sogar ein unfairer Nachteil sein, weil wir nicht nur einen neuen Markt aufbauen, sondern auch die richtige Lösung zur richtigen Zeit entwickeln müssen.

Entrepreneure haben eine weitere Gabe: die Fähigkeit, alles zu rationalisieren.

Bei meinem Social-Networking-Produkt kam ich damit klar, dass andere Wettbewerber in den Markt eintraten, weil ich rationalisierte, dass meine Lösung anders sei. Im Gegensatz zu den Konkurrenten bauten wir unser soziales Netzwerk auf Privatsphäre und Dezentralisierung auf (basierend auf einem Peer-to-Peer-Netzwerk). Und ich war überzeugt, dass unsere Differenzierung am Ende definitiv den Unterschied machen würde. Wer würde sein Leben schon mit anderen Leuten im Internet teilen wollen?

Damals wusste ich nicht, wie man dieses Grundvertrauen testet, ohne ein komplettes Produkt zu bauen. Das war eine teure Lektion.

Mein Problem war nicht die Idee oder die Vision. Mein Problem war, dass ich mich zu früh und für zu lange Zeit auf eine spezifische Lösung eingeschossen hatte, die zwar anders war, aber auf einem nicht getesteten Vertrauensvorschuss basierte – der sich als falsch herausstellte.

Schlüsselerkenntnisse:

  • Geheimhaltung ist eine wirklich schlechte Launch-Strategie.
  • Anders sein, aber sicherstellen, dass der Unterschied etwas ausmacht.
  • Die riskantesten Annahmen so früh wie möglich testen.

Stadium 2: Künstler müssen essen (Monetarisierung)

Ziemlich früh müssen wir herausfinden, wie wir ausreichend Startbahn aufbauen, um unsere kreative Hingabe zu unterstützen.

Ich hatte mein Unternehmen bis zu diesem Punkt selbst finanziert, aber die Ressourcen begannen auszugehen. Kapital war damals im Jahr 2002 wirklich knapp, aber ich war entschlossen, einen Weg vorwärts zu finden.

Bis dahin hatte ich gedacht, ich bräuchte nur ein tolles Produkt zu bauen und alles andere würde schon werden. Kunden und Investoren würden die Eleganz meiner Lösung sehen und das Geschäftsmodell würde sich von selbst ergeben.

Nachdem sich die Dinge dann nicht exakt auf diese Art entwickelten, verschob sich mein Fokus vom Entwickeln einer tollen Lösung zum Entwickeln eines funktionierenden Geschäftsmodells – auch bekannt als das Finden zahlender Kunden.

Der Unterschied zwischen einem Hobby und einem Geschäft ist Umsatz.

Zu dieser Zeit hörte ich auch mit der Geheimniskrämerei auf und begann, über meine Ideen hinsichtlich Social Networking, Privatsphäre und Dezentralisierung zu bloggen. Ein Entrepreneur aus Norwegen fand mich über einen meiner Blog-Artikel. Am Ende lizenzierte er unsere Technologie und wurde zu meinem ersten zahlenden Kunden.

Man könnte meinen, dass dies ein Glücksfall war, aber es steckte mehr dahinter. Hätte ich meine Ideen nicht geteilt, wäre ich nicht auf der Startseite des Produktbereichs von Sun Microsystems erschienen und hätte überhaupt keine Finanzierung generiert.

Dann machte ich weiter und launchte einige weitere Produkte, die den Business-Cashflow tatsächlich ins Positive drehten. Während dieser Zeit wurde ich vom Spezialisten (Coder) zum Generalisten (Designer, Entwickler und Marketer).

Es herrscht kein Mangel an Online- und Offline-Ressourcen zum Lernen. Der Schlüssel für den Weg nach vorn liegt hierin:

  1. Wissen, was man lernen muss.
  2. Dann gerade so viel davon lernen, um unser Problem zu lösen.
  3. Ausspülen und wiederholen.

In diesem Stadium drehte sich alles darum zu lernen, wie man überlebt – genauer gesagt: zu lernen, wie man Geld macht. Ja, Geld-Machen ist eine Fähigkeit.

Zu viele Entrepreneure bleiben in diesem Künstlerstadium stecken. Sie fahren damit fort, ihre Kunst zu unterschätzen, und sie lernen nicht, wie sie diese effektiv vermarkten und verkaufen. Sie nutzen kostenbasiertes Pricing: Sie finden heraus, was es sie kostet, etwas zu machen, klatschen eine bescheidene Gewinnmarge drauf und legen den Preis fest. Bei diesem Ansatz bleibt oft zu viel Wertschöpfung auf dem Tisch liegen. Ein effektiverer Ansatz ist ein wertbasiertes Pricing: Wir finden heraus, wer die Käufer sind, welchen Nutzen sie daraus ziehen und wie wir sie finden – und dann entwickeln wir ein Mafia-Angebot, das sich explizit dagegen verankert.

Mafia-Angebot: ein Angebot, das unsere Kunden nicht ablehnen können.

Schlüsselerkenntnisse:

  • Geld zu machen, ist eine Fähigkeit.
  • Ein funktionierendes Geschäftsmodell und nicht die Lösung ist das wahre Produkt.
  • Unsere Ideen zu teilen, ist der Schlüssel zu ihrer Verbreitung. Unsere Ideen zu verbreiten, ist der Schlüssel zu einem funktionierenden Geschäftsmodell.

Im folgenden zweiten Teil des Artikels beschreibt der Autor schließlich das Stadium der Sinnsuche.

Dieser Artikel wurde im Original am 16. März 2016 unter dem Titel The Entrepreneur with a Thousand Faces von Ash Maurya veröffentlicht. Ash Maurya gehört zu den führenden Köpfen der internationalen Gründerszene und ist einer der renommiertesten Experten für Lean Startup und Customer Development. Die Website seines Unternehmens LEANSTACK und seinen Blog erreichen Sie unter http://leanstack.com. Mehr Fachartikel bietet unser Lean-Special.

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