Eine bewährte Methode, um den Wert von UX-Design zu zeigen

Seit einer Weile wird mir diese Frage am häufigsten gestellt:

Wie überzeuge ich Leute in meinem Unternehmen davon, User Experience ernstzunehmen? Ich habe es mit Brownbag-Sessions über die Bedeutung von UX versucht, aber nichts ist passiert.

Sie haben intern jede Fallstudie geteilt, die sie finden konnten. Nichts hat sich geändert.

Ich sage ihnen, dass ich mit einführenden Brownbag-Sessions ebenfalls noch nie Erfolg hatte. Aber es gibt einen Weg, damit User Experience ernstgenommen wird.

Wenn ich wenig Zeit habe, gebe ich oft die kurze Antwort:

Das brauchen Sie nicht. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es im Unternehmen eine wichtige Person gibt, die UX bereits ernst nimmt. Sie weiß es nur noch nicht.

Allerdings gibt es eine hilfreichere, wenngleich längere Antwort. Sie lautet in etwa so...

Schritt 1: Mit Frustration durch schlechte Nutzererlebnisse beginnen

Organisationen, die nicht darauf fixiert sind, großartige Nutzererlebnisse zu schaffen, sind in aller Regel mit schlechten Nutzererlebnisse geschlagen. Ein großartiges Nutzererlebnis entsteht nur durch konstante Sorgfalt und Aufmerksamkeit. Wenn Unternehmen UX keine Aufmerksamkeit widmen, ist es unwahrscheinlich, dass sie durch Zufall über gute Nutzererlebnisse stolpern.

Wir können das Erlebnis, das mit einem Produkt oder einer Dienstleistung einhergeht, auf einer Skala messen, die von extremer Frustration bis zu großer Freude reicht. Zu jedem Zeitpunkt ist ein UX-Design für die Person, die es nutzt, entweder frustrierend oder erfreulich. Per Definition ist ein Nutzererlebnis gut, wenn es den Usern Freude bereitet, und schlecht, wenn es sie frustriert.

Doch es müssen nicht die direkten Nutzer sein – die Leute, die unmittelbar mit dem Produkt oder der Dienstleistung interagieren –, die von einem schlechten Design frustriert sind. Es gibt indirekte User – oftmals innerhalb der Organisation –, die das Design frustrierend finden. Hier sind ein paar weit verbreitete Beispiele, denen wir begegnet sind:

Vertriebsleute, die versuchen, ein Produkt zu verkaufen, das schwer zu demonstrieren oder zu erklären ist. Das Verkaufspersonal versucht, die Interessenten dazu zu bringen, sich in die Idee einer Bestellung zu verlieben. Wenn ein Konkurrent einfacher aussieht oder der Interessent nicht versteht, inwiefern das Produkt oder die Dienstleistung ihm hilft, wird er nicht kaufen wollen. Ein Vertriebler, der seine Verkaufsziele erfüllen will, würde das Produkt extrem frustrierend finden, weil es die Ursache dafür ist, dass er Abschlüsse verliert.

Ein Callcenter-Management, das Support-Anrufe entgegennimmt, die auf ein schlechtes Design zurückzuführen sind. Ein Produkt mit einem schlechten Nutzererlebnis kann eine extreme Belastung für das Callcenter-Team werden. Der Manager des Callcenters, der versucht, seine Kosten niedrig zu halten, kann ebenfalls vom steigenden Aufkommen an Anrufen frustriert sein, selbst wenn die Antworten einfach sind. ("Haben Sie es aus- und wieder eingeschaltet?")

Produktionsleiter, die mit verlorener Mitarbeiterproduktivität hadern. Eine interne Anwendung (wie etwa ein Fallmanagement-System), die zu viele Schritte hat oder schlecht mit anderen Tools zusammenspielt, führt dazu, dass die Arbeit länger dauert. Das schafft Rückstau und verringert die Gesamtproduktivität.

Entwicklungsmanager, die sehen, wie ihre Teams den Oberflächen-Code neu schreiben. Wenn die Entwickler die Benutzeroberfläche beim ersten Mal vermasseln, müssen sie Zeit für die Überarbeitung aufwenden, um sie einfacher nutzbar zu machen. Ein Design-Prozess mit mehr Sachkunde hätte geholfen, schon beim ersten Release näher ans Ziel zu kommen.

Entwicklungsmanager, die erkennen, dass ausgebaute Funktionen nie genutzt werden. Es war Zeitverschwendung, Funktionalitäten in das Produkt einzubauen, die Kunden nicht nutzen – entweder weil das Feature nicht gewünscht war oder weil das Produkt für die User zu kompliziert ist, um Vorteile aus den Funktionen zu ziehen.

In Organisationen, die eine Historie hinsichtlich der Produktion schlechter Designs mit frustrierenden Nutzererlebnissen haben, ist es normalerweise nicht schwer, frustrierte indirekte User wie die genannten zu finden. Wenn die Designs frustrierend genug sind (und das sind sie oft), können die indirekten User zum Schlüssel dafür werden, im Unternehmen ein Bewusstsein zu schaffen.

Schritt 2: Die Frustrationskosten identifizieren

Fast immer, wenn extreme Frustration aus einem Produkt oder einer Dienstleistung resultiert, spiegelt sich diese Frustration irgendwo im Saldo des Unternehmen wider.

Frustrationskosten wegen entgangener Verkaufsumsätze: Die Umsätze gehen an Konkurrenten; das Vertriebsteam versucht das mit Rabatten zu kompensieren oder Kunden brauchen sehr lange Zeit bis zum Abschluss.

Frustrationskosten wegen gestiegenen Support-Aufwands: Callcenter-Mitarbeiter verbringen Zeit mit der Beantwortung von Anrufen, die auf die schlechten Erlebnisse der User zurückzuführen sind.

Frustrationskosten wegen verlorener Produktivität: Rückstaus erfordern mehr Arbeitsstunden oder verhindern, dass die Organisation effizient ist.

Frustrationskosten wegen verschwendeter Code-Überarbeitungen: Die Entwicklungskosten sind höher, weil das Team denselben Code mehrere Male umschreibt.

Frustrationskosten wegen der Entwicklung ungenutzter Features: Entwicklungskosten für nie genutzte Funktionen sind eine Ressource, die genutzt werden könnte, um etwas anderes zu bauen.

Graben wir nun ein bisschen, dann können wir diese Kosten berechnen. Wenn die Verkäufe das Problem sind, können wir die Vertriebler bitten, die Höhe der Verkaufsausfälle zu schätzen. Oder wenn das Vertriebsteam mit Rabatten arbeitet, um gegen die Konkurrenz mit ihrem besseren Design zu gewinnen, können wir diese Rabatte zusammenrechnen, die sie geben müssen, um im Geschäft zu bleiben.

Wenn die Frustrationskosten aus Support-Anrufen resultieren, berechnen wir, wie viel diese Anrufe kosten. Wir nehmen das Budget für den Callcenter, dann teilen wir es durch die Gesamtzahl der Anrufe. Damit haben wir die Durchschnittskosten pro Anruf. Wenn wir diesen Durchschnitt mit der Anzahl der Anrufe multiplizieren, in denen es um Features mit frustrierenden Nutzererlebnissen geht, haben wir die Gesamtkosten der Frustration.

Dasselbe können wir mit den Zahlen bezüglich der verlorenen Produktivität machen: Finden wir heraus, was dieses Personal verdient, und berechnen wir, wie viel Zeit sie damit verbringen, mit den frustrierenden Nutzererlebnissen umzugehen – ob sie nun damit arbeiten (Produktionsarbeiter) oder ob sie sie erstellen (Entwickler). Multiplizieren wir den prozentualen Zeitanteil mit den Gesamt-Personalkosten und wir haben eine grobe Schätzung.

Oft sind diese groben Schätzungen alles, was wir brauchen, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Und wenn dies das erste Mal ist, dass die Organisation über User Experience nachdenkt, ist es wahrscheinlich, dass die Kosten ordentlich hoch sind. In einem Fall haben wir herausgefunden, dass das Handling des Passwort-Resets in einer großen Bank das Callcenter-Support-Team jedes Jahr 75 Millionen Dollar gekostet hat. Diese große Zahl reichte aus, um schnell die Aufmerksamkeit der Führungsetage zu erhalten.

Schritt 3: Die Person finden, die für Reduzierung dieser Kosten verantwortlich ist

Hier spielt uns das Glück in die Hände. In den meisten Unternehmen, speziell in großen, gibt es bereits jemanden, der für den Umgang mit den Frustrationskosten verantwortlich ist. Allerdings hat er das vielleicht noch nicht erkannt. Wahrscheinlich ist da jemand, der sich um sinkende Verkäufe kümmern soll. Es gibt jemanden, der verantwortlich für die Reduzierung der Support-Kosten ist. Jemand hat die Aufgabe, die Fertigung effizienter zu machen. Jemand hat großes Interesse daran, dass die Entwickler produktiver arbeiten.

Diese Leute sind oft leicht zu finden. Doch sie sind selten in der direkten Management-Kette des UX-Design-Teams. Vielmehr findet man sie in parallelen Strukturen außerhalb der Design-Organisation.

Wenn wir sie gefunden haben, sind sie womöglich überrascht, dass wir über ihre Probleme nachdenken. Wahrscheinlich haben sie nie daran gedacht, dass das Nutzererlebnis des Produkts oder der Dienstleistung der Grund für ihre Probleme ist. Entweder haben sie die Frustration nie wahrgenommen. Oder wenn doch, dann haben sie gedacht, dass man nichts daran ändern könne. (Oder jemand hat ihnen gesagt, es wäre zu schwierig.)

Doch jetzt haben wir Zahlen. Eine Schätzung, was es das Unternehmen tatsächlich kostet. Und weil unsere Zahl direkt auf ihre Charta abzielt, haben sie oft die Rollenmacht und den politischen Einfluss, um darauf hinzuwirken, dass etwas passiert. Plötzlich ist UX wichtig.

Schritt 4: Den neuen UX-Champion um Unterstützung für ein Lean-UX-Projekt bitten

Kapitel 3 in Jeff Gothelfs und Josh Seidens einflussreichem Buch Lean UX: Designing great products with agile teams heißt Driving Visions with Outcomes. Sie sprechen darüber, wie Produkt- und Dienstleistungsteams sich traditionell auf Features fokussiert haben und wie Projekte durch Anforderungen und Deliverables getrieben wurden. Sie schlagen einen anderen Weg vor.

Lean UX ist eine radikale Verschiebung der Art und Weise, wie wir unsere Arbeit gestalten, indem wir den strategischen Kontext unserer Feature- und Design-Entscheidungen wieder einführen und – noch wichtiger – darüber nachdenken, wie wir als gesamtes Team (nicht nur als Design-Team) Erfolg definieren. Unser Ziel ist es nicht, ein Deliverable oder Feature zu erstellen. Es geht darum, das Kundenverhalten positiv zu beeinflussen oder die Welt zu verändern – darum, Erfolg zu erzielen.

Die Reduzierung von Frustrationskosten ist ein idealer Erfolg. Und mit unserem neuen UX-Champion an der Seite bekommen wir Unterstützung für ein Politprojekt.

Lean UX ist ein perfekter Ansatz dafür. Wir können starten, indem wir die Hypothese testen, dass unsere grobe Schätzung nahe an der Realität ist.

Wir bitten unseren neuen UX-Champion darum, dass er uns hilft und ein interdisziplinäres Team zusammenstellt, um aufzudecken, woher die Frustration kommt. Indem wir eine kleine Taskforce aus allen Teilen der Organisation einberufen, können wir akkuratere Daten über die Frustration und Ideen, wie wir diese Kosten reduzieren könnten, sammeln.

Die Berechnung der Frustrationskosten – wo auch immer sie herkommen mögen –, ist eine ideale Metrik, um das Projekt anzutreiben und einen messbaren Ansatz der Wertschätzung von Design-Bemühungen herzustellen. Indem wir einen hochrangigen Champion außerhalb des Design-Teams finden, bekommen wir Zugang zu einem Schlüsselbereich des Unternehmens. Und ohne eine Minute bei einem Brownbag-Lunch über die Bedeutung guter Nutzererlebnisse zu referieren, haben wir der Organisation gezeigt, wie gutes Design uns profitabler macht.

Dieser Artikel wurde im Original am 13. April 2017 unter dem Titel A Proven Method For Showing The Value Of Good UX von Jared M. Spool veröffentlicht. Jared M. Spool gehört zu den führenden User-Experience-Experten unserer Zeit. Seine Website erreichen Sie unter http://www.uie.com. Weitere Artikel von Jared M. Spool finden Sie im UX-Special von //SEIBERT/MEDIA.

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