Vom iPhone-Jünger, der auszog, Android neu kennenzulernen

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Ich schreibe dies für Apple-Jünger (wie mich), die denken (oder wie ich: gedacht haben), dass die bemitleidenswerten Android-User im Nachteil sind und dass ihnen viel von der Freude und dem Spaß abgeht, die ein iPhone ihnen in die Hände gibt. Das ist nämlich Quatsch. Wenn Sie ausprobieren, was ich ausprobiert habe, werden Sie selbst als von Apple voreingenommener Nerd anerkennen, dass Google heute auf einem gleichen Qualitäts-Level ist. Warum und weshalb, zeige ich in diesem Artikel.

iPhone 7 Plus mit iOS versus Huawei P9 lite mit Android: Geräte für 900 und 230 Euro im Vergleich - und Android beeindruckt!

In jenen Tagen, als ich zu Mac OS wechselte, hatte ich mir nicht vorstellen können, dass irgend etwas mein geliebtes Outlook für Windows schlagen könne. Das ist ungefähr 15 Jahre her. Mac OS hat meine täglichen Routinen schnell und problemlos erobert. Noch vor ein, zwei Jahren war es für mich unvorstellbar, meine E-Mails über eine Web-Oberfläche zu bearbeiten. Die E-Mail war strikt an Mac Mail und die fette Client-Software auf meinem Mac gebunden. Google Inbox belehrte mich eines Besseren. Heute bearbeite ich Mails auf meinem iPhone und über eine Web-Oberfläche. Ich finde es toll - und Sie sehen, dass ich mich also auch gerne von guten Argumenten überzeugen lasse.

Bin ich bereit, mein iPhone beiseite zu legen und ab morgen ein Android-Gerät zu nutzen? Würde ich nie tun! Zumindest hätte ich das bis vor ein paar Wochen geantwortet. Aber ich wollte es mal darauf ankommen lassen.

Also ging ich los und holte mir in einem Laden um die Ecke ein Huawei P9 lite für 229 Euro mit einer zweiten SIM-Karte. Und ja, ich hatte auch einen geschäftlichen Grund: Wir haben eine Android-App für unsere Linchpin-Intranet-Suite entwickelt und ich wollte in der Lage sein, sie zu testen.

Die Vorbereitung des Gerätevergleichs war einfach: dieselbe Telefonnummer, derselbe Besitzer, dieselben Accounts. Allerdings hat das Android-Gerät weniger unter der Haube als das zu vergleichende iPhone 7 Plus, das aber auch viermal so viel gekostet hat. Bei den Dingen, die unmittelbar von der Hardware betroffen sind, würde iOS (iPhone) also wirklich einen unfairen Vorteil genießen.

2013 hatte ich Android schon einmal probiert. Ich war gerade in San Francisco und die Deutsche Telekom zockte mich mit ihren teuren Roaming-Tarifen ab. Das Android-Gerät damals hatte 100 Dollar gekostet und war zu nichts zu gebrauchen. Zum Abgewöhnen.

Das P9 lite und insbesondere das Android-Betriebssystem dagegen hatten sofort meine Aufmerksamkeit. Ich komme noch zu den Details meines Versuchs, möchte aber eine Zusammenfassung an den Anfang stellen:

Wenn Sie (wie ich es getan hatte) ein iPhone besitzen und von oben herab auf die armen Seelen blicken, die Android-Geräte nutzen müssen: Lassen Sie’s, es gibt keinen Grund dafür. Android bewegt sich auf einer vergleichbaren Ebene, und zwar in allen relevanten Bereichen wie Apps, Nutzererlebnis und Funktionen.

Mein größtes Problem bei der ganzen Sache war, als Apple-Jünger meinen eindimensionalen Blick auf die Geräte aufgeben zu müssen. Ja, es ist okay, ein Android-Gerät zu kaufen. Und ja, vielleicht wird es eines Tages sogar meine erste Wahl. Verstehen Sie, was ich meine?

Nun aber zu den Details meines Experiments:

    • In Sachen Oberfläche und User Experience hat sich Android dramatisch verbessert, seit ich vor Jahren zum letzten Mal verglichen habe. Als Nerd bin ich begeistert vom Funktionsreichtum und von den Konfigurationsmöglichkeiten, die das Gerät bietet.
    • Normalerweise sollte es signifikante und ganz augenscheinliche Unterschiede zwischen diesen Geräten geben. Aber ganz so einfach kann ich sie gar nicht finden. Es ist verblüffend, dass ein 900-Euro-Smartphone von Apple und ein 200-Euro-Handy aus China miteinander wetteifern können. Das Display ist brillant, der Touchscreen schnell und schnittig.
    • Nachrichten kommen auf Android zwei bis drei Sekunden eher an als auf iOS. Zumindest ist das bei den Telegram-Meldungen auf meinen beiden Geräten so.
    • Animationen für die Transitionen sehen hübsch aus. iOS hat das nicht. Allerdings habe ich sie dann doch deaktiviert, weil ich glaube, dass sie zu viel Zeit und Akku kosten, ohne einen funktionellen Wert zu bieten.
    • Die Buffer-App für Android hat keinen Shuffle-Button. Hier dämmerte es mir zum ersten Mal, dass die beiden Plattformen oft unterschiedliche App-Oberflächen haben. Aber mich hat überrascht, dass viele der Android-Apps besser und weiter fortgeschritten sind als die iOS-Versionen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass Android-Entwicklung deutlich schneller ist und der Freigabeprozess viel straffer. Das spart Zeit und Iterationen. Vermutlich kann man davon ausgehen, dass Android-Apps auch in Zukunft ihren iOS-Pendants voraus sein werden, zumindest ein Stückchen.
    • Keine einzige der Apps, die ich nutze, ist nicht auch für Android verfügbar. Beim letzten Mal war 1Password auf Android ein Graus. Heute funktioniert 1Password auf Android besser als auf iOS.
    • Vor einigen Monaten sind wir auf G Suite gewechselt. Das erleichtert die Adaption von Android-Geräten ganz signifikant.
    • Google Maps scheint mir auf Android mehr neue Karten bieten und vielseitiger zu sein.
    • Dank Android habe ich gelernt, wie cool GBoard als Smartphone-Tastatur sein kann. Ich habe sie inzwischen auch auf meinem iPhone.
    • Die Stimmerkennung von Google ist viel besser als Siri von Apple. Ich habe Freunde, die dem widersprechen. Aber meinen Erfahrungen nach gibt es daran nichts zu rütteln.
    • Android hat einen Splitscreen-Modus, der es Nutzern erlaubt, auf einem geteilten Bildschirm gleichzeitig in zwei Apps zu arbeiten. Das kann manchmal sehr wertvoll sein. Ich nutze diese Option für 1Password und Websites.
    • Wenn ich irgendwelche Google-Apps nutze, spielt es überhaupt keine Rolle, welches der Telefone ich verwende.
    • Als ich Andere mit meinem Experiment konfrontiert habe, gab es keinen, der gegen meine Erkenntnisse Widerspruch erhoben hat. Bei meinem letzten Vergleich 2013 war das noch ganz anders: Noch ehe ich irgendwelche Resultate berichten konnte, sagten mir alle sofort, dass iOS mit Links gewinnen würde. Es ist inzwischen offenbar eine anerkannte Tatsache, dass Android eine gute Usability hat. Das ist ziemlich beeindruckend.
    • Mir gefällt das Nutzererlebnis, zwischen Apps hin und her zu wechseln, auf Android deutlich besser. Auf iOS ist das Doppeltippen auf den Home-Button vor allem für ältere Leute wie meine Mutter oder meine Stiefmutter nicht so einfach.
    • Ich sammle Ideen und schreibe Texte in Google Docs. Ob ich das auf dem iPhone oder dem Android-Gerät mache - es gibt absolut keinen Unterschied mehr dabei.
    • Natürlich kann ich meine Apple Watch nicht mit dem Huawei-Smartphone verwenden. Ich bin ein bisschen erstaunt, dass ich sie gar nicht vermisse, wenn ich das Android-Gerät nutze. Allerdings hatte ich 20 Jahre lang keine Uhr getragen und erst mit der Apple Watch wieder damit angefangen.
    • Es gab bisher nur eine App, die ich auf Android kaufen musste - die für Jira Server. Der Bestellprozess war solide und schnell. Gefällt mir.
    • Wir haben Mobile-Apps für Confluence-basierte Intranets entwickelt und uns begegnen mehr und mehr große Organisationen, die wissen wollen, wie sie tausende von Mitarbeitern, die keine Arbeitscomputer haben, informieren und an den Informationsfluss im Unternehmen anbinden können.
      Prinzipiell gibt es zwei Wege: Jeder Mitarbeiter nutzt sein eigenes Smartphone (Bring your own device, BYOD) oder das Unternehmen kauft für jeden Angestellten eines (was auf großer Skala entsprechend teuer wird). Ein Kunde hat vor, zum Kampfpreis massenhaft Windows Phones zu kaufen, nun, da Microsoft den Stopp der Weiterentwicklung verkündet hat. Andere kaufen wiederum nur iPhones aka. das Beste, aber dann nur für eine begrenzte Gruppe von Spitzenmitarbeitern.
      In Deutschland gehören Datenschutz und Sicherheit zu den wichtigsten Anforderungen der Kunden. Ich favorisiere ein BYOD-Konzept, da alle Mitarbeiter schon Smartphones haben und die Implementierung einfach ist. Wenn Sie jedoch darüber nachdenken, en masse Smartphones für (alle) Leute im Unternehmen zu kaufen, würde ich heute Android-Geräte empfehlen. Sie sind günstig, das Nutzererlebnis ist vergleichbar und die Oberfläche ist so intuitiv, dass Fünfjährige damit klarkommen.
    • In meiner täglichen Nutzung bin ich zum iPhone als Hauptgerät zurückgekehrt. Ich nutze das Android regelmäßig. Aber wenn es dringend ist, denke ich nicht bewusst über die Erkenntnisse aus meinem Versuch nach, sondern greife automatisch zum iPhone 7 Plus. Ich erkläre mir das mit der besseren Hardware. Ich kann die Kamera schneller starten, um einen Schnappschuss zu machen. Das Entsperren geht schneller. Ich bezweifle jedoch, dass dem auch so wäre, wenn ich ein Google Pixel hätte.
    • Der Test, ob kleine Kinder mit solchen Geräten umgehen können, hat in der Vergangenheit gut funktioniert. Meine Kids haben vor zwei Jahren ein Android-Tablet in die Hand gedrückt bekommen und das Ding nach ein paar gescheiterten Versuchen, die Oberfläche zu meistern, dauerhaft in die Ecke verbannt.
      Sie sind nun freilich älter, aber nach dem Versuch, auf dem Android-Gerät den "Home-Button" zu drücken, wie sie es daheim von unseren iPhones kennen, fanden sie schnell heraus, was die drei Buttons unten bewirken, und alles andere kam von selbst. Seitdem ich ein paar Spiele installiert hatte (Wie konnte ich das vergessen?), ist das Android ein akzeptiertes Gerät. Sie haben es inzwischen sogar für sich allein gefordert, denn niemand könne schließlich zwei Smartphones nutzen. (Das Experiment muss ein Ende finden!)

Meine Zusammenfassung bis hierhin lautet, dass Android zu einem mit iOS absolut konkurrenzfähigen Betriebssystem geworden ist. Das ist eine schlechte Nachricht für Apple; ja, sie sollte sie in Angst und Schrecken versetzen! Das iPhone ist ihr wichtigster Treiber in Sachen Umsatz und Profit. Die Leute haben lange auf den iPhone-Killer gewartet, der bald auf die Bühne treten und das Apple-Flaggschiff aus dem Spiel nehmen würde.

Wahrscheinlicher ist aber dieses Szenario: Die Apple-Community wird weiter in ihrer heilen Mac-Welt leben, und währenddessen verbessert Google seine Produkte allmählich bis zu einem Punkt, an dem niemand mehr qualitative Unterschiede erkennen kann. Aber Moment: Es gibt einen Unterschied zwischen einem 230 Euro für ein Huawei und 900 Euro für ein iPhone. Vorsicht, dass euch eure Preise nicht eines Tages umbringen, Tim (Cook).

Hier sind ein paar weitere Erfahrungen aus meinem Test:

    • Ich habe das Android-Telefon einem Kollegen als Upgrade seines alten Smartphones geliehen. Nach einer Woche gab er es mir zurück, weil die Kamera nicht zackig genug war. Es macht also in der täglichen Praxis einen Unterschied, ob ich gute Hardware habe oder nicht.
    • Auf dem Android kann die Tastatur vibrieren. Das ist ein UX-Vorteil.
    • Android hat erheblich granularere Optionen, um den Batterieverbrauch von Apps zu kontrollieren. Es gibt nicht nur einen Energiesparmodus, sondern sogar einen Ultramodus, der die verbleibende Zeit vervierfacht, jedenfalls wenn man den Betriebssystem-Informationen glaubt. Es gibt ein Feature zur Verringerung der Bildschirmauflösung, um Energie zu sparen. iOS bietet einen normalen und einen geringen Energiemodus und keine zusätzlichen Optionen. Zwar sind mehr Optionen nicht immer gut. Aber Leute mit einer schlechten Akku-Performance sind in der Regel bereit, weite Wege zu gehen, um den Lebenszyklus ihres Smartphones über den Tag hinweg zu strecken.
    • In Situationen mit geringer Bandbreite und schlechter Verbindung ist das Android-Handy bis zu zehnmal schneller. Der Geschwindigkeitszuwachs, den man als Nutzer erlebt, ist sogar noch größer, weil das Google-OS mir sagt, wie viel Durchsatz er aktuell hat. Da sich die Zahl mit jeder Sekunde ändert, kann ich auch zu realistischen Erwartungen an die Ladezeiten kommen.

Dies ist natürlich kein vollständiger und professioneller Vergleich zwischen Android und iOS. Ich habe mir einfach viele Dinge angeschaut, die mir in den Sinn gekommen sind, als ich Android nach langer Zeit wieder vor mir hatte.

Zusammenfassend kann ich aber Eines getrost sagen: Die Zeit, in der die Apple-Community auf die Android-User herabblicken und sie wegen schlechter Oberflächen und Nutzererlebnisse des Google-Betriebssystems verspotten konnte, ist vorbei. Google ist nicht nur zum Player mit dem größten Marktanteil geworden, sondern bietet auch ein Betriebssystem, das aus funktioneller Sicht absolut auf Augenhöhe mit iOS ist.

Was meinen Sie? Ich richte mich gerne auf vehementen Widerspruch ein! 😀 Aber vorher: Machen Sie den Test mal selbst!


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4 thoughts on “Vom iPhone-Jünger, der auszog, Android neu kennenzulernen”

  1. Der Sarkasmus ist bemerkenswert: “verbessert Google seine Produkte allmählich bis zu einem Punkt, an dem niemand mehr qualitative Unterschiede erkennen kann” Ich hoffe inständig, dass Google niemals so weit abrutschen wird.
    Aus Sicht des Android-Anwenders möchte ich die Probleme der iPhone-Welt nicht haben. Der App-Store, zum Beispiel oder sehr verbreitete Probleme, Google Docs zu benutzen. Apple E-Mails gegen auch gerne mal unter.
    Wenn ein 200-Euro-Telefon locker mit dem iPhone mithalten kann, empfehle ich ein One Plus 5 oder aktuelles Galaxy oder Pixel oder oder oder…

  2. Der für mich größte Vorteil des iPhones ist bisher die Lightning-Buchse gewesen, die einfach mechanisch stabiler ist. Ich repariere öfter Handys, bei denen die microUSB-Buchse defekt ist. Die neuen USB-Buchsen sind ja schon besser geworden, aber so mechanisch stabil wie Lightning ist es dann doch nicht. Mit den drahtlosen Auflademöglichkeiten sieht es jetzt natürlich anders aus (ich bin ein Fan von Dockingstations und hatte mir seinerzeit diverse Modelle aus China bestellt, und in die eine passt das 6S sogar noch ohne Wackeln mit Hülle rein). Der zweite Vorteil ist die o.g. Reaktionsfähigkeit der Kamera. Ansonsten kann ich alle Aussagen zu den Androids für Firmen unterschreiben.

  3. Ja, wirklich gute Punkte. Die neuesten Handies nutzen ja auch USB-C. Das ist schon etwas vielversprechender und gar nicht mehr so weit weg von Lightning. Das Apple bei den Macbooks jetzt auch auf USB-C umgestiegen ist, erwarte ich, dass sie das bei den iPhones in ein paar Jahren auch machen werden. Mal sehen …

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