UX-Design: Die Kosten von Frustration

Man findet schwerlich jemanden, der nicht glaubt, dass es vorteilhaft ist, ein besser nutzbares UX-Design zu entwickeln. Allerdings ist es im heutigen Design-Umfeld oft schwierig, die Ausgaben gegenüber anderen Geschäftsprioritäten zu rechtfertigen.

Schlechtes UX-Design erzeugt Reibung. Reibung kann sich als ein Kunde manifestieren, der einen Kauf abbricht. Alternativ brauchen Angestellte vielleicht mehr Zeit als nötig dafür, eine wichtige Information zu finden. Je weniger das Design mit dem schwingt, was der Nutzer zu tun versucht, desto stärker die Reibung.

Wann immer Reibung auftritt, frustriert das jemanden. Der User wird frustriert sein, weil er seine Aufgabe nicht erledigen kann. Der Angestellte, weil seine Bemühungen, wichtige Funktionen auszuführen, zu lange dauern. Ein schlechtes UX-Design führt zu starker Reibung. Starke Reibung führt zu starker Frustration.

Frustration in Dollar bemessen

Während es schwierig ist zu messen, ob ein Design nun schlecht ist oder nicht, so lässt es sich doch einfach messen, wann Frustration auftritt. Wenn wir ein wenig graben, können wir normalerweise Kosten mit der Frustration in Verbindung bringen. So eröffnet sich uns ein Weg, den Preis eines schlechten Designs in Zahlen auszudrücken.

Frustration zeigt sich in der Regel auf eine von vier Arten:

  • Gestiegene Ausgaben
  • Verlorener Umsatz
  • Verlorene Produktivität
  • Verschwendete Entwicklungszeit

Beispielsweise erhöht ein Problem, das die User dazu bringt, die gebührenfreie Nummer des Unternehmens anzurufen, den Bedarf an Callcenter-Mitarbeitern. Ebenso kann ein überkomplexes Intranet-Design dazu führen, dass Mitarbeiter viel Zeit mit eigentlich einfachen Aufgaben wie dem Zusammentragen von ein paar Informationen verbringen.

Jede Organisation spürt Frustration in Form monetärer Auswirkungen. Wir können die Kosten eines Support-Calls ermitteln, indem wir das Support-Budget für ein Jahr durch die Menge der Anrufe teilen, die angenommen werden.

Wenn wir ermitteln, bei wie vielen Anrufen es um ein bestimmtes Problem geht, können wir die durchschnittlichen Kosten pro Anruf heranziehen, um einzuschätzen, was das Problem an Support-Kosten verursacht. Da wir leicht sagen können, dass ein alternatives UX-Design weniger Frustration hervorruft, können wir auch die Kostendifferenz einschätzen, womit wir ein großes Stück des Return-on-Investment-Puzzles in der Hand haben.

Fallstudie: Amtraks Frustrationskosten

Sehen wir uns als Beispiel Amtrak.com an, die offizielle Website für Amerikas Bahnsystem. Die Leute bei Amtrak haben ihre Website so designt, dass Kunden die Möglichkeit haben, ihre Reservierungen online vorzunehmen.

[Redaktioneller Hinweis: Wie Sie sich vorstellen können, ist UIE zur Geheimhaltung verpflichtet, wenn wir finanzielle Informationen erhalten. Deshalb ist diese Fallstudie von Amtrak.com fiktiv, doch die Zahlen sind denen sehr ähnlich, die wir bei unseren Kunden sehen.]

Stellen wir uns vor, wir haben mithilfe von Usability-Tests festgestellt, dass Amtrak.com es sehr schwer macht, die Registrierung durchzuführen. Nur einer von vier Versuchen einer Online-Buchung ist tatsächlich erfolgreich.

Eine schnelle Analyse der Website-Logs zeigt, das die durchschnittliche Buchung einen Wert von 220 Dollar hat. Sie zeigt auch, dass derzeit 10.000 Reservierungen pro Monat erfolgreich durchgeführt werden, was einem Umsatzstrom von 2.200.000 Dollar entspricht.

Unsere Inspektion der Logs zeigt dasselbe Muster, das wir im Labor gesehen haben: Nur 25 Prozent der Leute, die eine Buchung starten, bringen sie tatsächlich zu Ende. Das bedeutet, dass 30.000 Reservierungen pro Monat nicht komplettiert werden. Legen wir die durchschnittlichen Einnahmen pro Buchung zugrunde, ergibt das im Monat unvollendete Registrierungen im Wert von 6.600.000 Dollar oder 79.200.000 Dollar jährlich.

Das ist eine Menge Geld, das Amtrak sich zurückholen kann. Allerdings haben unsere Studien gezeigt, dass viele der Leute tatsächlich gar nicht buchen würden, selbst wenn das Design besser nutzbar wäre. Das aktuelle UX-Design zwingt potenzielle Reisende, den Registrierungsprozess zu starten, nur um die Beförderungskosten zu sehen oder die Verbindungen zwischen zwei Städten. Viele dieser Reisenden suchen dann günstigere oder bequemere Reisemöglichkeiten und buchen nie.

Folglich sollten wir unsere Frustrationskosten sorgfältig berechnen, indem wir diese No-go-User aus unserer Beschätzung heraushalten. Jedoch könne es schwierig sein, den Prozentsatz an Besuchern korrekt zu prognostizieren, ohne ihre Buchungsintention zu kennen. In diesem Fall schätzen wir konservativ, dass nur 20% der Leute, die nicht buchen, dies tun würden, wenn die Oberfläche einfacher zu nutzen wäre. (Durch eine konservative Schätzung schenken Andere unseren Berechnungen eher Vertrauen, während wir uns die schöne Überraschung offen halten, unsere Ziele womöglich zu übertreffen.)

20 Prozent unserer 30.000 Nichtbucher pro Monat entspricht 6.000 Leuten, von denen wir annehmen, sie würden mit einer verbesserten Oberfläche buchen. Das heißt, dass ein gut designtes Reservierungssystem den Umsatz um 1.320.000 Dollar pro Monat oder 15.840.000 Dollar pro Jahr steigern könnte.

Die Frustrationskosten für Amtrak.com belaufen sich also auf fast 16 Mio. Dollar jährlich. Jemand müsste sich das mal ansehen.

Pragmatische Berechnungen

Um Amtraks Frustrationskosten zu berechnen, mussten wir unsere Usability-Testergebnisse mit den finanziellen Aktivitäten des Unternehmens und den Logfiles der Website kombinieren. Je mehr Datenquellen wir nutzen können, desto belastbarer werden unsere Zahlen.

Wenn wir glauben, dass die Frustration sich in entgangenem Umsatz niederschlägt, werden wir versuchen, jene Probleme zu identifizieren, die dem Verkauf im Wege stehen. Doch für die anderen Arten von Frustrationskosten müssen wir unsere Berechnungen anpassen.

Gestiegene Ausgaben: Wir sehen uns all die Kosten an, die die Organisation aufgrund des Problems erleidet. Dabei kann es sich um zusätzliche Support-Anrufe handeln, um das Ersetzen von Material oder um erhöhte Server-Last.

Verlorene Produktivität: Diese ist etwas schwieriger zu berechnen. Im Idealfall können wir die jährlichen Kosten für die betroffenen Mitarbeiter nehmen und sie durch die Arbeitsstunden pro Jahr teilen. Damit hätten wir eine Kosten-pro-Stunde-Rechnung für einen produktiven Angestellten. Multiplizieren wir das mit der Anzahl der unproduktiven Stunden pro Jahr, und wir haben einen jährlichen Produktivitätsverlust beziffert.

Allerdings ist es manchmal problematisch, die Kosten für die betroffenen Mitarbeiter zu beziffern. Zu ermitteln, was die Leute verdienen, welche Leistungen sie erhalten und welche weiteren Kosten sie verursachen (so wie die Elektrizität, die sie verbrauchen), kann zeitaufwändig und politisch schwierig sein. Manchmal ist es für uns einfacher, wenn wir darüber reden, was diese Angestellten tun würden, statt uns mit verlorener Produktivität zu beschäftigen. Wenn wir darüber sprechen, wie Vertriebler 15 Prozent mehr Zeit für den Verkauf haben könnten, können wir die Frustrationskosten in Form der Gewinne durch die produktiveren Aktivitäten ausdrücken.

Verschwendete Entwicklungszeit: In vielen heutigen Software-Produkten und Websites gibt es ganze Bereiche an Funktionalitäten, die die User nie sehen oder nutzen. (Man braucht nur mal die ganzen Menüs seiner Textverarbeitung durchgehen, um zu sehen, welche Menge an Funktionen es gibt, die man wirklich noch nie erkundet hat.) Diese Features und Funktionen zu entwickeln, kostet Zeit; doch wenn niemand weiß, dass es sie gibt – welche Vorteile hat der Hersteller dann davon?

Wenn wir uns die Liste der Features anschauen, die zur Entwicklung vorgesehen sind, können wir sehen, wie viel es für jede davon kostet, sie zu entwickeln (indem wir ähnliche Berechnungen anstellen wie bei der Ermittlung der verlorenen Produktivität). Relativ simple Usability-Tests können uns helfen zu identifizieren, ob User diese Features entdecken können (und sie nutzen werden, sobald sie sie entdeckt haben). Wir können die Kosten ausrechnen, die dafür anfallen, dass Entwickler Dinge bauen, die die Leute nicht nutzen werden.

Nach Schmerz suchen

Es könnte etwas schwierig werden, einfach ins Büro des Geschäftsführers zu platzen und zu verkünden, dass wir dem Unternehmen mit solider Usability-Arbeit Millionen einsparen können, selbst wenn wir die Frustrationskosten sorgsam berechnet haben. Stattdessen müssen wir unseren Blick auf die nächste Stelle richten: die Quelle des Schmerzes.

Normalerweise gibt es in Organisationen, in denen Frustration auftritt, auch Schmerzen. Wegen der Frustration bekommt jemand nicht das, was er will. Wenn die Website so schwer nutzbar ist, dass sie Kunden vom Bestellen abhält, erreichen die Vertriebs- und Marketing-Leute ihre Zahlen nicht. Wenn das Support-Telefon zu oft klingelt, hat der Support-Center-Manager ein Kapazitätsproblem.

Wenn wir dem Schmerz bis zu seiner Quelle folgen, können wir oft wichtige Verbündete finden, die vielleicht sogar das Budget haben, um die Usability-Arbeit zu finanzieren. Aber auf jeden Fall ist es extrem vorteilhaft, einen weiteren Verfechter auf unserer Seite zu haben.

Sich die Frustrationskosten zunutze machen

Die Frustrationskosten bilden eine unserer Lieblingstechniken, um den Wert unserer Arbeit zu demonstrieren. Wenn wir zielgenau bestimmen können, wie frustrierend die Oberflächen sind und wie diese Frustration das Geschäft beeinflusst, wird es sehr einfach, Stakeholder davon zu überzeugen, dass sich am UX-Design etwas ändern muss.

Wenn wir einmal damit anfangen, uns auf die tieferliegenden Kosten der Frustration zu fokussieren und sie in Zahlen auszudrücken, läuft das auf eine sehr effektive Metrik hinaus, die wir über den gesamten Entwicklungsprozess hinweg nutzen können. Es hilft uns zu identifizieren, welche UX-Designs am effektivsten sind, und bietet uns ein Werkzeug, um die Vorteile guten Designs zu erklären.

Dieser Artikel wurde im Original am 14. Dezember 2015 unter dem Titel The Cost of Frustration von Jared M. Spool veröffentlicht. Jared M. Spool gehört zu den führenden User-Experience-Experten unserer Zeit. Seine Website erreichen Sie unter http://www.uie.com. Weitere Artikel von Jared M. Spool finden Sie im UX-Special von //SEIBERT/MEDIA.

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