Bist Du schon #SELBERgross? Regelbruch, der uns voranbringt!

Mark Poppenborg hat mich in seinem Newsletter, auf Facebook und LinkedIn nominiert, etwas über #SELBERgross zu schreiben. Mein Verständnis von dieser Aktion ist der Aufruf an uns alle, doch etwas erwachsener mit der Welt um uns herum umzugehen. Lasst Euch nicht davon klein kriegen, dass es da draußen Gesetze, Vorgaben und Richtlinien gibt. Wer so sehr in "klick klack" denkt, kommt kaum voran. Das mit dem Klick-Klack habe ich erstmals bei Lars Vollmer gehört. Denken in einer Kugelbahn. Da geht es nur in eine Richtung. Und dann in die Andere. Die Kugel kann nicht anders. Klick, klack, klick, klack und dann unten angekommen. Meine kleine Tochter wirft manchmal einfach Sachen in die Kugelbahn, die nicht rund sind. Und dann die Kugeln hinterher. Da könnte ich wahnsinnig werden. Natürlich räume ich die Blockaden immer schnell weg. Sonst läuft's ja nicht. Immer schön klick, klack. Kennen Sie das? Wenn's nicht läuft, wie man's kennt, ist irgendwas falsch. Dann fühlt sich das komisch an. Lieber nicht. Das geht uns allen auch im Geschäftsleben und im täglichen Miteinander so.

Immer schön an die Regeln halten. In seinem großartigen Buch "The Antidote: Happiness for People Who Can't Stand Positive Thinking (Englisch)" schreibt Oliver Burkemann als Tipp für die Non-Konformität: "Stellen Sie sich doch mal in die Londoner Untergrundbahn und stehen 30 Sekunden vor dem Einlaufen in die Stationen auf und rufen laut "Holborn" oder "Piccadilly Circus". Beim ersten Mal rollen sich die Fingernägel hoch. Alle schauen Sie an. Beim zweiten Mal noch mit Gänsehaut und abstehenden Nackenhaaren. Beim dritten Mal nimmt Sie überhaupt keiner mehr wahr.

Und wenn ich hier vier Dinge darstelle, bei denen wir einfach geltendes Recht so weit gebogen haben, dass doch der eine oder andere den Bogen als überspannt ansehen darf, dann vermute ich doch, dass außer ein paar hoch stehender Nackenhaare und Stirnrunzler einfach gar nichts passiert. Ach ja doch: Mein Leben verbessert sich! Unser aller Leben verbessert sich. Und zwar dann, wenn wir aufhören, uns die ganze Zeit stoisch an die Regeln zu halten. Wir sollten tun, was für uns, für mein Gegenüber und für alle anderen gut ist und voran bringt. Und es ist auch schon etwas gewonnen, wenn den anderen einfach kein Schaden entsteht, dafür mir und meinem Gegenüber aber geholfen ist.

Das hier ist kein Aufruf zur Anarchie. Mein Papa ist Richter. Ich glaube an unsere Gesetze, unsere Verfassung und ja, sogar an das Finanzamt. Die ganzen Regeln die in unserer Gesellschaft und in Ihrem Unternehmen gelten, sind von Menschen gemacht worden, die Gutes wollten. Sie hatten die besten und höchsten Absichten. Aber sie können nicht die ganze Komplexität erfassen. Denn die Regeln müssen ja auch einfach sein. Deshalb darf und soll man daran herum biegen. Eine gute Frage ist: Ist es mir peinlich, wenn das öffentlich wird? Wenn Sie bereit sind, Ihr Verhalten öffentlich zu verteidigen und sich gut rechtfertigen können und im Einklang mit allgemein akzeptablen Moralvorstellungen bleiben, dann dürfen Sie aus meiner Sicht Dinge anders und besser machen.

Und dieser Blogartikel soll helfen, dass sture Klick-Klack-Denken abzuwenden. Hier sind ein paar Beispiel von mir als Inspiration:

1. Mittagessen mit Familienangehörigen

Wir haben ziemlich gutes Mittagessen bei Seibert Media. Das liegt daran, dass uns von Montag bis Freitag jeweils drei Restaurants beliefern. Die Betreiber kommen in der Regel mit Chaving Dishes und liefern mehr als genug Essen für die eingegangenen Bestellungen an. Es gibt immer ein paar "Schmarotzer", die erst viel später (z.B. gegen 14 Uhr) eintrudeln und sich ein paar übrig gebliebene Sachen holen, die sonst weg geworfen würden. Oder ab und zu kommt ein Familienmitglied oder eine Freundin oder ein Bekannter dazu, den wir dann als Gast eintragen. Der versierte Steuerfachmann riecht schon die Probleme. Mitarbeiter müssen Sachbezüge für Essen versteuern. Auch wer Reste isst, muss dafür irgendwas bezahlen oder halt etwas versteuern. Und wer einen Freund oder eine Bekannte einlädt, kann diese Gäste weder als Kunden noch als Mitarbeiter behandeln. Die müssten wie Fremde Dritte irgendeinen undefinierten "Marktpreis" bezahlen.

Gutes Essen im Büro

Das ist natürlich nicht wirklich ein Problem. Es wird auch keiner geschädigt, wenn Essensreste von Mitarbeitern, die nicht zum Essen angemeldet waren, vertilgt werden. Es gibt ja auch nicht immer welche. Wir sind #SELBERgross und lassen unseren gesunden Menschenverstand walten. Und so lange die Anzahl so gering ist wie heute, halte ich als Unternehmer ein etwaiges Risiko von "Steuernachzahlungen" lieber aus, als allen möglichen Menschen zu verbieten, sinnvolle und gewünschte Dinge zu tun.

2. Überstunden bei Geschäftsreisen

Mitarbeitende, die für uns geschäftlich Reisen, dürfen an einem Tag nicht mehr als 8 Stunden arbeiten. In Ausnahmen 10 Stunden. Das sind Regeln, die Mitarbeiterinnen (m/w/d) vor Ausbeutung, Burnout und Co. schützen sollen. Aber wir kontrollieren das einfach nicht. Wir kontrollieren nicht, wie die Mitarbeiterin anreist und wie lange sie unterwegs ist. Wir kontrollieren auch nicht, ob sie sich einen dicken Mietwagen von Sixt mit Schlüssel teuer ins Büro bringen lässt oder günstig bei Buchbinder mit dem Ford Ka reist, der am Flughafen abgeholt wird. Wir kontrollieren nicht ob mit der Bahn in der 1. Klasse gefahren wird. Und wir rechnen auch nicht die Hotelkosten nach oder prüfen, ob die überhaupt erforderlich gewesen wären. Ich selbst habe mich schuldig gemacht, morgens um 7 Uhr in ein Flugzeug nach Berlin zu steigen und abends um 22:30 Uhr wieder gelandet zu sein. Dabei habe ich weder die Greta-Thunberg-Ehrennadel noch den Anti-Burnout-Arbeitsschutzpreis eingeheimst. Aber ich war am nächsten Morgen (natürlich ohne 11 Stunden Ruhezeit) wieder für meine Kids da und habe denen eine Brotbox für die Schule und ein Frühstück gemacht.

Brotboxen

Ich bin #SELBERgross und entscheide für mich, was gut ist und mich vor Stress bewahrt. Das dürfen bei uns auch alle anderen Mitarbeitenden so handhaben wie sie wollen.

3. Stundendeckel bei Studenten

Es gibt bei uns viele Studenten. Die dürfen während des Semesters 19 Stunden pro Woche arbeiten. In den Semesterferien ist die Menge an Stunden unbegrenzt. Zwar haben die Studenten inzwischen in nahezu allen Hochschulen sowohl während der Semesterzeiten als auch in den Semesterferien Klausuren und Prüfungen. Und die tatsächlich verfügbar und sinnvoll leistbare Zeit hängt wohl eher von der Menge der belegten Fächer und Auslastung ab. Aber da machen die Regeln natürlich keine Unterschiede. Und da wir #SELBERgross sind, achten wir peinlichst genau darauf, dass formal bei uns alles korrekt läuft. Die Stunden werden akkurat gebucht. Da ist nichts zu beanstanden. Alles sauber dokumentiert. Was für ein Business-Theater. Sie denken sich Ihren Teil. Sie sind ja #SELBERgross.

4. DSGVO - Die Datenschutz-Keule

Eigentlich ist die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO / GDPR) eine nette Idee. Ich soll selbst entscheiden können, wer persönliche Daten über mich speichert und wie lange und wann er die löschen muss. Das Ergebnis ist leider, dass ganz viele Unternehmen ganz viel Angst haben und ich auf jeder Website irgendwelche komischen Cookie-Banner weg klicken muss. Da haben wir die DSGVO zum Anlass genommen, alle unsere Kontakte (ohne Ausnahme) dazu zu zwingen, uns zu sagen, ob wir Ihre Daten speichern dürfen oder nicht. Und auf diese Weise erhalten wir jetzt von 90% die explizite Einwilligung dafür. Toll für unser Marketing. Alles rechtskonform. Aber auch ein Riesen-Theater ohne großen Mehrwert. Außer dass ich jetzt weiß, dass es fast allen unserer Kontakten vollkommen egal ist, ob wir ein Profil über deren Intranet- und SAFe-Präferenzen erstellen und deren Schritte auf unseren Websites tracken.

An der Stelle wäre #SELBERgross wohl eher, wer die DSGVO einfach komplett ignoriert und mit den persönlichen Daten tut, was er moralisch für vertretbar hält. Vermutlich ist das einfach, praktisch und sogar "rechtskonform". Wir sind #SELBERklein und zwingen weiter zu Entscheidungen. Also bloß keine Anfrage stellen! #muhaha

5. Autarke Früheinarbeitung

Unser Intranet

Seit einigen Wochen bieten mir Mitarbeitenden an, sich schon in unsere digitalen Systeme (nicht alle, aber viele) einzuwählen, bevor sie offiziell starten. Sie können dann schon chatten, Mails und Unternehmensnachrichten lesen und sich an Diskussionen beteiligen. Das kostet ja Zeit und muss im engeren Sinne als Arbeit angesehen werden. Für die Mitarbeiter ist das cool, weil sie sich mit dem neuen Arbeitgeber schon intensiv beschäftigen können. Für uns ist das auch super, weil die Neulinge schon Unternehmensrealität schnuppern können und oft deutlich besser eingearbeitet am ersten Tag antreten. Und auch ansonsten kommt dabei niemand zu schaden. Nicht jede nimmt das Angebot wahr. Und es gibt auch keinen Zwang. Aber wer während einer anderen Beschäftigung tätig wird, muss eine Nebenbeschäftigungsgenehmigung beim aktuellen (scheidenden) Arbeitgeber einholen. Ansonsten kann es zu zahlreichen Problemen kommen. Wir haben lange darüber diskutiert, ob wir zum Schutz der neuen Mitarbeiter vor Ihrem eigenen Verhalten diese Genehmigungseinholung prüfen sollten. Aber wir gehen davon aus, dass unsere Mitarbeiter #SELBERgross sind und sich sehr wohl um Ihre Interessen kümmern können. Wir etablieren keine Prozesse, die gängeln und nerven.

Und? Was denken Sie? Ist das unlauter? Sind das Frechheiten, die wir uns da erlauben? Sind wir #SELBERgross oder #ZIEMLICHdreist? Eine Rückmeldung würde mich wirklich freuen. Ich habe die Themen absichtlich nummeriert und mehrere dargestellt. Vielleicht sind ja auch ein paar okay und ein oder zwei gar nicht cool? Sagen Sie es mir. Ich bin gespannt.

Und weil die Berichterstattung über den Regelbruch ja weiter gehen muss, nominiere ich Gerrit Eicker, Dr. Oliver Ratajczak und Christoph Rauhut dazu uns mal zu erzählen, wo sie die Regeln brechen, um etwas besser, richtiger oder einfach praktischer zu machen.

Update vom 18.11.2019: Gerrit hat zurecht darauf hingewiesen, dass es sich hierbei nicht um einen definitionsgemäßen zivilen Ungehorsam, sondern um persönliche Vorteilsnahme (zum Wohl aller inkl. Gesellschaft) handelt oder handeln sollte. Ich verstehe seine Kritik, dass die Verballhornung oder laxe Verwendung solcher Begriffe besonders von politisch extremen Randgruppen voran getrieben wird und man dem keinen Vorschub leisten sollte. Ich habe daher meinen Artikel entsprechend angepasst. Leider ist's auch in der URL und die ändere ich nicht. Sorry.

Entdecke die Zukunft der agilen Transformation in der Automobilbranche beim Tools4AgileTeams at Scale "Automotive Day"!

Schreibe einen Kommentar