Was ist Growth-Hacking?

Growth-Hacking ist ein interdisziplinärer Mix aus Marketing, datengetriebenen Experimenten und Automatisierung. Das einzige Ziel von Growth-Hacking ist das Wachstum eines Unternehmens. Dafür wird ein Prozess zugrundegelegt, der die schnelle Identifikation sichtbarer Kommunikationskanäle ermöglicht. Im Gegensatz zu traditionellen Marketingmaßnahmen wird jeder Berührungspunkt des potenziellen Kunden mit dem Unternehmen als potenzieller Kommunikationskanal in Betracht gezogen.

Oder zusammengefasst: Growth-Hacking ist die optimale Synthese aus Produkt, User Experience und Marketing – mit nachhaltigem Wachstum als Ziel. Entscheidend dabei: Growth-Hacking ist nicht etwa nur eine Sammlung von smarten Marketingtricks, sondern stellt die Anforderungen des Kunden und das Produkt in den Vordergrund. Growth-Hacking ist ein Prozess des fortwährenden Lernens und Anpassens und dabei immer eine Teamaufgabe, weil sie sehr unterschiedlicher Kompetenzen bedarf.

Beispiel: Der "Egobaiting"-Hack

Wer von uns wird nicht gerne öffentlich gelobt und ausgezeichnet? Das kitzelt unser Ego – und wir werden es sicherlich jedem in unserem Bekanntenkreis mitteilen, dass wir diesen Preis gewonnen haben. Der "Egobaiting"-Hack macht sich genau diesen Mechanismus zunutze.

Expertenlisten bei Unbounce

Unbounce ist ein Anbieter von Landing-Page-Software und richtet sich an Digital-Marketer. Im zugehörigen Blog hat das Team die beiden Artikel "75 Marketing-Expertinnen, mit denen du dich vernetzen solltest" und "50 Marketing-Experten, die du nicht auf dem Schirm hast, jedoch kennen solltest" veröffentlicht. Natürlich haben viele der darin genannten Experten diese Auszeichnung nur allzu gerne in ihrem sozialen Umfeld geteilt und damit die Reichweite des Blogs – und die Awareness von Unbounce – stark vergrößert. So gewinnen beide Parteien.

Und so könnte Ihr (exemplarisches) Vorgehen aussehen: Sofern Sie sie nicht bereits kennen, suchen und finden Sie Experten in Ihrem Fachgebiet mithilfe von BuzzSumo und Followerwonk. Neben einem reinen Listicle, in dem Sie die Experten aufzählen, kann es auch sinnvoll sein, Mini-Interviews durchzuführen und den betreffenden Leuten jeweils eine kurze, fachlich spezifische Frage per E-Mail zu stellen. Wenn Sie Antworten bekommen haben, fügen Sie alles zu einem Blogbeitrag zusammen und informieren Sie die Experten über die Veröffentlichung. Markieren Sie sie außerdem in Ihren Social-Media-Posts. Viele werden Ihren Beitrag teilen.

Natürlich können Sie die Experten auch zu längeren Interviews einladen und beispielsweise einen Podcast produzieren oder ein Buch schreiben. Tim Ferris Bücher "Tools der Titanen" und "Tribe of Mentors" sind nach diesem Prinzip entstanden. Das Ansehen Ihrer Interviewpartner wird auch auf Sie abfärben und kann zu einer positiven Positionierung als "Thought Leader" beitragen – und außerdem werden Sie eine Menge lernen.

Sie können den "Egobaiting"-Hack aber auch zur Akquise nutzen, wie das folgende Beispiel zeigt.

Kundenblogs bei 247Grad/dirico.io

dirico.io ist eine Social-Media-Management-Software für mittlere und große Unternehmen. Dem Geschäftsführer und Gründer Sascha Böhr ist ein Round-up-Hack gelungen, indem er einfach einen Blogartikel über die 38 besten Corporate Blogs veröffentlicht und die erwähnten Unternehmen – die natürlich die perfekten Kunden für dirico.io sind – über die Veröffentlichung informiert hat. 80 Prozent der Unternehmen haben sich dafür bedankt und fünf Prozent wurden zu Kunden – kein schlechter Erfolg für einen einfachen Blogbeitrag.

Es gibt Unmengen an Growth-Hacks, die dafür gesorgt haben, dass das ausführende Unternehmen einen wichtigen Schritt auf die nächsten Stufe machen konnte. In unserem Buch haben wir mehrere hundert davon beschrieben.

Entscheidend aber ist: Nur weil ein Hack bei Unternehmen A funktioniert hat, muss er das nicht notwendigerweise für Unternehmen B tun. Denn die Kunden und die Märkte sind nicht identisch. Unternehmen A könnte vor drei Jahren beispielsweise viel Erfolg mit einem Gewinnspiel auf Facebook gehabt haben, während die Reichweite auf diesem Kanal für Unternehmen B viel geringer ist.

Wie ist Growth-Hacking entstanden?

Growth-Hacking ist eine junge Disziplin. Ihr "Erfinder" ist Sean Ellis, einer der Marketer, die bei Dropbox das legendäre Empfehlungsprogramm entwickelt haben. Bei jedem Projekt war er auf der Suche nach Menschen, die nicht nur klassisches Marketing beherrschen, sondern auch Verständnis für Design, Entwicklung und vor allem Daten mitbringen. Denn Marketing für Startups musste datenbasiert und "lean" sein, da der Fehlerkorridor – im Gegensatz zu Großkonzernen – sehr eng ist. Zeit und Geld sind die beiden Dinge, die in den meisten Startups rar sind. Um schnell den sogenannten "Product/Market-Fit" zu erreichen, ist es nötig, schnell den einen Kanal zu finden, der zur Zielgruppe passt.

Deswegen ist Growth-Hacking die logische Fortsetzung von Design Thinking und Lean Startup. Mit diesen beiden Methoden will man – vereinfacht gesagt – das Risiko minimieren, dass ein Produkt am Nutzerbedarf vorbei entwickelt wird und man jede Menge Ressourcen (also Geld, Zeit, Know-how) an ein Produkt vergeudet, das niemand haben möchte.

Mit Growth-Hacking wiederum versucht man, das Risiko zu minimieren, dass man am Kunden vorbei kommuniziert und jede Menge Ressourcen (insbesondere im Mediabudget) in einen Kanal investiert, der von der Zielgruppe nicht genutzt wird.

Ist Growth-Hacking auch für B2B-Unternehmen geeignet?

Die Frage sollte eigentlich lauten: "Welche Unternehmen können oder sollten kein Growth-Hacking einsetzen?" Die Antwort: Jene Unternehmen, die nicht an Wachstum, sondern nur an der Erhaltung des Status quo interessiert sind. Alle anderen sollten sich mit dem Konzept beschäftigen und es einfach mal testen.

Denn auch wenn Growth-Hacking primär für die Verwendung in Startups konzipiert worden ist, gibt es keine Gründe, warum der Prozess nicht auch in etablierten Unternehmen (unabhängig von B2B oder B2C) funktionieren sollte.

Wesentlich kritischer sind die folgenden Voraussetzungen:

  1. Herrscht in Ihrem Unternehmen das sogenannte "Growth Mindset"? Tauschen sich die Mitarbeiter miteinander aus, sprechen sie offen über Fehler und sehen sie Herausforderungen nicht als Bedrohungen, sondern als Gelegenheiten?
  2. Sind die Mitarbeiter bereit, auch abteilungsübergreifend zusammenzuarbeiten? Denn ein Growth-Team besteht nicht nur aus Marketing-Experten, sondern aus einer möglichst heterogenen Gruppe aus Spezialisten (siehe unten).
  3. Sind die Mitarbeiter bereit, den Erfolg ihrer Arbeit durch die Definition von Zielen und die Kommunikation aller Ergebnisse transparent zu machen?
  4. Haben Ihre Mitarbeiter genügend Handlungsspielraum, um eigenständig Experimente umzusetzen und dafür beispielsweise Landing-Pages und Anzeigen zu erstellen? Das gilt sowohl hinsichtlich der Entscheidungsvollmacht als auch des Budgets und der technischen Ressourcen.
  5. Gibt es in der Geschäftsführung jemanden, der das Growth-Team "sponsort" und die Maßnahmen nach innen und außen auch bei Misserfolg verteidigt?
  6. Gibt es mindestens einen digitalen Berührungspunkt mit potenziellen Kunden? Wenn Ihr Wachstum allein vom Konversionstalent eines Vertriebsmitarbeiters abhängig ist, werden Sie Growth Hacking nicht einsetzen können.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann ein internes Growth-Team gebildet werden.

Wie funktioniert ein Growth-Team?

Die eigentliche Herausforderung für Unternehmen ist also nicht unbedingt das Anwenden von Growth-Hacks, sondern das Bilden von interdisziplinären Growth-Teams und das Etablieren einer Growth-Kultur. Teammitglieder, Organisation und Mentalität sind absolut entscheidend. Alles andere ist zweitrangig.

Sie brauchen ein Team, das

  • klein genug ist,
  • vorzugsweise am selben Ort arbeitet,
  • ein klares Mandat hat,
  • bei allem, was es tut, unabhängig agieren kann,
  • einen Sponsor auf C-Level hat, der die Straße freimacht,
  • die Mentalität besitzt, Ergebnisse vor Konventionen, Titel, grafische Richtlinien usw. zu setzen.

Wenn ein Growth-Hacker nicht in die Unternehmensprozesse integriert wird, ist die Akzeptanz meist sehr gering, was einer der Hauptgründe dafür ist, dass Growth-Hacking-Initiativen in Unternehmen scheitern.

Die Entwicklung einer Growth-Kultur ist kein einfaches Unterfangen – alle Beteiligten müssen das neue Credo akzeptieren und die Änderungen der internen Prozesse befürworten. In kleinen Unternehmen und Startups muss häufig der Gründer selbst die Wachstumsinitiativen anstoßen und vorantreiben. In größeren Unternehmen ist es oft erforderlich, dass verschiedene Abteilungen und Abteilungsleiter an einer gemeinsamen Wachstumsvision arbeiten.

Wachstum darf kein Nebenprojekt sein. Das Growth-Team braucht (neben den notwendigen Ressourcen insbesondere im Bereich IT und Entwicklung) die unbedingte und nach allen Seiten kommunizierte Unterstützung durch die Geschäftsleitung, um nicht in bürokratischen Grabenkämpfen aufgerieben zu werden.

Um in dieser Phase weiter wachsen zu können, benötigen Sie außerdem diverse Experten in Ihrem Team:

  • Produktmanager
  • User-Experience-Spezialist(en)
  • Marketingspezialist(en)
  • Webentwickler
  • Data-Analyst(en)

Da Growth-Hacking noch eine sehr junge Disziplin ist und eigentlich in keine Schublade gesteckt werden kann, wäre es vermessen zu behaupten, es gäbe die eine richtige Methode. Aber grundsätzlich ist es nicht falsch, sich an agilen Methoden zu orientieren, von denen man weiß, dass sie sich in der Praxis bewährt haben.

Growth-Hacking: Workshop am 29. Juni 2020 in Wiesbaden

Am 29. Juni findet bei //SEIBERT/MEDIA in Wiesbaden ganztägiger Workshop zum Thema Growth-Hacking statt – ein intensiver Tag voller Wissen und Training rund um die Frage, wie ein Unternehmen schneller wachsen kann. Details und die Möglichkeit zur Anmeldung finden Sie jetzt auf der Infothek-Seite zur Veranstaltung.

Tomas Herzberger ist Co-Autor des Bestsellers "Growth Hacking: Mehr Wachstum, mehr Kunden, mehr Erfolg". Er ist Co-Founder der Growth-Agentur Stratos und unterstützt Unternehmen als Trainer, Coach und Speaker. Außerdem ist er Initiator der Growth Hacking Meetups in Deutschland und Österreich.

Mehr Infos gibt es unter tomasherzberger.de.

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