Mit Leadership Agility durch Krisen und Disruption navigieren

Die Welt steht Kopf

Wir arbeiten seit über 20 Jahren selbstständig. Bis zum 15. März war unsere Welt völlig in Ordnung. Kundentermine, Coachings, Workshops, Weiterbildungsdurchführungen, Trainings – so sahen im Wesentlichen unsere Kalendereinträge aus. Am 20. März stand all das von jetzt auf gleich Kopf.

Kundentermine und Coachings konnten nur noch remote stattfinden. Workshops und Trainings wurden im großen Umfang abgesagt, Weiterbildungsdurchführungen mussten im Hauruckverfahren auf eine Remote-Variante umgearbeitet werden.

So wie uns selbst ging es auch unseren Kunden: An die Bestellung von Fotoprodukten hat beim ersten Corona-Lockdown kaum jemand mehr einen Gedanken verloren. Unternehmen, die wesentliche Einnahmen aus der Schaltung von Werbung erzielen, spürten sehr schnell radikale Einbußen. Auf der anderen Seite stehen Anbieter von Breitbandzugängen oder Videokonferenzlösungen, die über Nacht von einer riesigen Kundennachfrage und einer erheblichen Marktaufmerksamkeit überrascht wurden.

Die Corona-Krise und die mit ihr einhergehenden marktwirtschaftlichen Verwerfungen sind ein extremes Beispiel für Marktdisruption. Extrem, weil sie nicht einzelne Unternehmen, Branchen oder Länder trifft, sondern in jeder Hinsicht global auftritt. Sie ist ein Sonderfall des vielzitierten VUCA-Szenarios. Unternehmen finden sich plötzlich in einer Situation, die durch extreme Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit geprägt ist.

Anpassungsfähigkeit ist Trumpf

Und auch wenn die Corona-Krise ein extremes Beispiel ist, finden sich ähnliche Situationen im kleineren Maßstab und begrenzt auf einzelne Branchen auch sonst: N24 und Google, Apple Pay, die den Markt der Zahlungsdienstleister umkrempeln, Online-Versand, der den Einzelhandel bedroht, Tesla, die die eingesessenen Autobauer vor sich her treiben.

Als Unternehmen müssen wir in solchen Situationen in der Lage sein, uns sehr schnell neu zu orientieren, schnell zu lernen und uns schnell anzupassen.

Wie schwer es VW und Daimler fällt, sich vom ingenieurhaften Produktionsunternehmen zur Software-Organisation zu wandeln, kann man an den Lieferproblemen beim ID.3 ablesen. Und auf eine mobile Zahlungsvariante der Bank unseres Vertrauens warten wir vermutlich auch noch etwas länger.

Anpassungsfähige, adaptive Organisationen sind in der Lage, schnell auf solche Veränderungen zu reagieren, und setzen dafür auf drei wichtige Grundprinzipien:

  • Experimentieren und schnelles Lernen
  • Ausrichtung aller Aktivitäten am Wert für den Kunden
  • Einbeziehung aller Mitarbeitenden in Ideenfindung und Richtungsgebung

Für Experimentieren und schnelles Lernen stehen uns mit agilen Arbeitsweisen erprobte Methoden zur Verfügung, die dies sowohl beim Was (Produkte) als auch beim Wie (Arbeitsweise) gut unterstützen.

Eine Ausrichtung aller Aktivitäten am Kundenwert ist dabei nicht die "Kundenorientierung", die sich eh alle Unternehmen auf die Fahnen schreiben. Hier geht es vielmehr um die Betrachtung des Wertstroms (fast) ausschließlich aus Kundenperspektive: Was hat wirklichen Wert für den Kunden? Wie generieren wir möglichst schnell möglichst viel Wert für den Kunden? Wie eliminieren wir Wartezeiten für den Kunden? Dies gelingt nur durch eine Aufgabe ressourcenoptimierter Wertströme zugunsten mehr auf Durchflusszeiten optimierter Wertströme.

Führung wird nicht überflüssig, sondern anders

Während diese ersten zwei Prinzipien noch eher methodisch, technokratisch daherkommen, geht es beim dritten um den Kern. Komplexe Umfelder erfordern kreative Ideen, Experimentieren und schnelles Lernen. Und das funktioniert nicht in Umgebungen, wo die Menschen sich zurücklehnen, weil es "die Chefin schon richten wird".

Es braucht stattdessen die Aktivierung der kollektiven Intelligenz aller Mitarbeitenden im Unternehmen. Peter Kruse sagt dazu: "Die Zeit der Vordenker ist vorbei."

Leadership Agility

In unserer Arbeit mit Organisationen begegnen wir vielen Führungskräften, die genau das gerne wollen: dass ihre Teams sich mehr einbringen und mehr Verantwortung übernehmen. Aber sie müssen oft feststellen, dass es nicht reicht, diesen Wunsch zu äußern, wenn das Team es bisher gewohnt ist, mit individuellen Zielvorgaben und stark steuernder Führung zu arbeiten.

Sie erkennen nach und nach, welche wichtigen Rollen ihr eigener Führungsstil, ihre Haltung gegenüber den Menschen im Team und ihre persönliche Selbstreflexionsfähigkeit spielen, wenn sie mit ihrem Vorhaben, alle Mitarbeitenden aktiv einzubeziehen, erfolgreich sein wollen.

Haben wir eine Kultur von Vertrauen und Offenheit in unserem Team oder sind vielmehr Kontrolle und Bewertung maßgeblich? Wie gestalten wir Ideen- und Entscheidungsfindung im Team – kann ich als Führungskraft ergebnisoffene Prozesse gestalten oder behalte ich am Ende immer die finale Trumpfkarte in der Hand? Wie gehen wir mit Fehlern um? Suche ich Schuldige? Muss der Fehler vor allem schnell beseitigt werden? Oder nehmen wir uns Zeit, um kollektiv daraus zu lernen?

Das sind nur einige von vielen möglichen Fragen, die deutlich machen, dass es alles andere als leicht ist, einen Führungsstil zu entwickeln, der echte Beteiligung ermöglicht. Um diese Art der Führung authentisch leben zu können, brauche ich als Führungskraft neben methodischem Know-how die Bereitschaft und Offenheit, mich mit der Gestaltung der menschlichen Beziehungen im Team zu befassen, Feedback anzunehmen und mein eigenes Handeln kritisch zu hinterfragen.

Das Leadership Agility-Modell von Bill Joiner und Stephen Josephs ist ein sehr anschauliches und hilfreiches Werkzeug, um diesen Entwicklungsprozess deutlich zu machen. Es beschreibt die Entwicklung von Führung nicht nur als einen Zuwachs an Methoden und Werkzeugen, sondern auch als ein Wachstum bezüglich mentaler und emotionaler Kapazität und daraus resultierenden neuen Haltungen in drei (eigentlich fünf) Entwicklungsstufen.

Der taktisch und problemlösungsorientierte Expert Leader fokussiert sich mit hoher fachlicher Kompetenz auf die Lösung von konkreten Aufgaben. Eine Führungsperson, die nur diesen Stil beherrscht, ist stark ins operative Geschehen involviert, auf den eigenen Kontext fokussiert und leidet oft unter zu hoher Arbeitslast. Andere Mitarbeitende werden eher als "Probleme" denn als Ergänzung oder Unterstützung gesehen.

 

Eine Führungsperson, die zusätzlich den Achiever Leadership-Stil beherrscht, sieht es mehr als ihre Aufgabe an, Menschen zu führen, damit diese gute Ergebnisse liefern können: Motivierende Ziele sollen Teams oder Abteilungen zu ergebnisorientierter Zusammenarbeit bewegen. Ziele und Ergebnisse spielen für Achiever Leader die entscheidende Rolle. Sie stützt sich stark auf ähnlich "tickende" Mitarbeitende und sieht Teamarbeit als Schlüssel zum Erfolg.

Aus der Verantwortungsfalle zu Catalyst Leadership

Beiden Stilen gemein ist, dass die Führungskraft im Zentrum steht, die ihr Team auf von ihr gesetzte Ziele hinsteuert. Im Leadership Agility-Modell werden die beiden Stile daher als "heroische" Führungsstile bezeichnet. Führungskräfte, die nur diese beiden Stile beherrschen, laufen Gefahr, in die sogenannte Verantwortungsfalle zu tappen: Die Führungsperson hat den Eindruck, nur sie könne dem Kunden die richtigen Antworten geben, sie müsse die Koordination des nächsten Produkt-Reviews in der Hand behalten.

Sie erlebt das eigene Team als passiv, wenig bereit, sich einzubringen, nicht mitdenkend. Das Team hingegen fühlt sich bevormundet, klein gehalten und nicht gefragt. Was den meisten Führungskräften nicht bewusst ist, ist die Wechselwirkung ihres Verhaltens mit dem Verhalten der Mitarbeitenden; es entsteht ein sich selbst verstärkender Kreislauf.

Der Catalyst Leadership-Stil bricht mit diesem Muster und verschiebt den Fokus der Führungstätigkeit. Ein Unternehmen wird nicht mehr als Maschine betrachtet, die von einzelnen Führungspersonen gesteuert werden kann, sondern als komplexes soziales System verstanden. In diesem Verständnis ist es Führungsaufgabe, optimale Rahmenbedingungen für die Erreichung von gemeinsamen Zielen zu schaffen,Lernen und Wachsen für die Gesamtorganisation zu ermöglichen und dabei die Menschen einzubeziehen und zu befähigen. Hier geht es um die Schaffung einer partizipativen Kultur, die auf Transparenz, Eigenverantwortung und Augenhöhe setzt.

Nur wenn mehr und mehr Führungskräfte in der Organisation ihre eigenen Führungskompetenzen in Richtung Catalyst Leadership erweitern, wird die Grundlage dafür geschaffen, dass echte Anpassungsfähigkeit im Unternehmen als Ganzes erreicht wird.

Der Weg zum Catalyst Leader

Der Weg zur Erweiterung der eigenen Führungskapazitäten und das Erlernen zusätzlicher Führungswerkzeuge führt dabei über Selbstreflexion, Feedback und das Ausprobieren neuer Herangehensweisen. Die Weiterentwicklung zum Catalyst Leader ist damit nichts, was sich mit einem Zwei-Tages-Workshop erledigen ließe.

Unser Weiterbildungsprogramm für Führungskräfte ist als Programm aus sechs Modulen angelegt, in dem Teilnehmende verschiedene Aspekte von Catalyst Leadership in Präsenz-Workshops erarbeiten und diese kontinuierlich in die eigene Praxis übertragen. Lernerfolge, Hindernisse und Herausforderungen werden zwischen den Workshops in regelmäßigen Lerngruppentreffen reflektiert, um neue Impulse und Ideen zum Ausprobieren mitzunehmen.

Ergänzt wird der Lernpfad durch ein 360-Grad-Feedback-Instrument, das basierend auf dem Leadership Agility-Modell ganz konkrete Anhaltspunkte für Verbesserungsbedarfe im Führungshandeln aus Sicht von Team, Vorgesetzten oder Stakeholdern liefert. Begleitend steht allen Teilnehmenden außerdem persönliches Coaching zur Verfügung, um individuelle Herausforderungen intensiv bearbeiten zu können.

Das hört sich aufwändig an. Die Erfolge und positiven Feedbacks der letzten fünf Durchführungen zeigen aber, dass sich der Einsatz lohnt. Organisationsentwicklung ist Persönlichkeitsentwicklung und basiert daher auf einer persönlichen Transformation der Beteiligten, die sich nicht mit der Brechstange erledigen lässt.

Unser nächstes Programm startet im Oktober. Mehr Informationen findest du hier – oder melde dich gerne auch für ein persönliches Gespräch.

Christoph Lukas und Ute Nunnenmacher arbeiten als agile und systemische Coaches mit Unternehmen und Führungskräften in agilen Veränderungsprozessen.

Sie unterstützen Führungskräfte durch Weiterbildung, Mentoring und Coaching dabei, Leadership Agility zu entwickeln.

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