Moderne Organisationsentwicklung (Episode 4): Von Widerstandsmessungen, Rollenverfahren und systemischer Konsensierung – so entscheiden wir jetzt

Seibert Media ist auf dem Weg zu einer kollegialen Netzwerkorganisation. Echt jetzt – das Ganze fühlt sich immer realer an. Und diesen Prozess begleiten wir mit einem dedizierten Podcast, der den Weg nach innen und außen transparent macht. Darin diskutieren Jo Seibert und Sarah Boost in ihrer Funktion als interne Agile Coaches für die Organisationsentwicklung mit Ralf Janssen von Kompano, der das Unternehmen bei dieser Neustrukturierung begleitet.

In den ersten Folgen von "Echt jetzt? Seibert Media denkt Agilität neu" ging es um die Gründe, warum ein Schritt hin zur kollegialen Führung notwendig ist und wie sich die ersten Kreise formiert haben. Es gab einige Rückmeldungen, über die wir uns Gedanken gemacht haben, die Frage nach "lauten und leisen Persönlichkeiten" war ein weiteres wichtiges Thema.

In der vierten Episode im Echt jetzt?-Podcast loten Jo, Sarah und Ralf gemeinsam aus, welche Möglichkeiten die kollegiale Führung bietet, Wahlverfahren zu organisieren, beispielsweise über das Messen von Widerständen, über kollegiale Rollenwahlen oder systemisches Konsensieren. Außerdem geht es um kollegiale Entscheidungsprozesse: Wer kommt wo rein und wie kommen wir zu guten Entscheidungen, die uns weiterbringen?

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Standard. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Weitere Informationen

Die Qual der Wahl: klassisch, kollegial, offen, anonym, synchron oder asynchron?

Über den Portfoliokreis wurde bereits in den letzten Folgen gesprochen. Die Bedeutung dieses Kreises geht weit über das Diskutieren verschiedener Programme hinaus, die Übergänge zu unternehmensstrategischem Handeln sind fließend. Entsprechend wichtig empfinden die Teams bei Seibert Media die Besetzung des Portfoliokreises. Zur Wahl stehen Präsenzwahlsysteme verschiedener Art (etwa offene und anonyme Wahlen oder Widerstandsmessungen), Rollenwahlen oder aber eine asynchrone und digitale Wahl, die ebenfalls offen oder anonym ausgestaltet werden kann.

Der Vorteil einer digitalen Wahl wäre die Zeitersparnis, der Nachteil wäre, dass damit das Gemeinschaftserlebnis nicht so zum Tragen kommen kann, wie Ralf hervorhebt:

"Man muss halt gucken, ob man nicht eine Chance verspielt, weil wir ja eine Kulturveränderung einbringen wollen – und Kulturveränderungen bewirke ich dadurch, dass Leute Erlebnisse haben und in den Diskurs gehen."

Jo befürchtet jedoch, dass bei so vielen Menschen, die mitentscheiden, der Wahlprozess selbst sehr viel Zeit in Anspruch nimmt. Ralf kann diesen Einwand gut verstehen und rät dazu, die Frage des Wahlsystems an die Teams zurückzugeben, etwa so:

"Ihr habt jetzt eine Rolle zu wählen. Das sind Instrumente, asynchron, synchron. Wollt ihr ein bisschen mehr Zeit investieren, um über kollegiale Führung etwas zu erfahren oder nicht? Dann soll das Team das entscheiden, weil wir ja dabei sind, die Entscheidung in die Peripherie zu verlagern."

Beispiel aus der Praxis: Entwickler-Teams entscheiden sich für kollegiales Rollenwahlverfahren

Nicht nur im Portfoliokreis steht eine Entscheidung an, sondern auch im Bereich der Software-Entwicklung. Im Zuge der immer größeren Entwicklungsteams steht der Vorschlag im Raum, eine neue Rolle einzuführen: den Software-Architekten. Das Besondere daran: Da diese Rolle mehr Verantwortung hätte als der "Developer" und der "Engineer", wäre damit auch mehr Gehalt verbunden, was wiederum ganz bestimmte, fähige Leute von außerhalb anziehen würde, was im Zeichen der Cloud-Entwicklung sicher fachlich ein Vorteil wäre.

Doch was wollen die Entwicklungsteams selbst und wie soll das entschieden werden – und ist diese Rolle bei uns überhaupt nötig? Einige sagen: "Wir wollen keine disziplinarische Hierarchie haben!", andere finden die Idee gut.

Jo erläutert im Gespräch dazu die Gedanken innerhalb der Geschäftsführung: Mit einer solchen neuen Rolle könnte die Attraktivität als Arbeitgeber erhöht werden; auch fachlich-organisatorisch wird die Notwendigkeit gesehen, dadurch eine übergreifende Standardisierung zu gewährleisten.

Deshalb entstand die Idee, diesen Vorschlag in einem kollegialen Verfahren über einen synchronen Workshop auszuloten, in dem unterschiedliche Optionen auf den Tisch kamen und nach Widerständen abgefragt wurde. Genauer gesagt: Es gab fünf verschiedene Möglichkeiten, die von einer Entwickler-Arbeitsgruppe ausgearbeitet wurden. Ermittelt wurde die Strategie der Wahl über eine Widerstandsmessung. Das Ergebnis war knapp, und kurz danach stand die nächste Frage im Raum: Wer soll die Rolle antreten? Und vor allem: Wer soll darüber entscheiden?

Ralf berichtet vom Entscheidungsprozess:

"Da haben wir einerseits gefragt: Wollt ihr das durch einen Topkreis besetzen? Also im klassischen Sinne – der Chef entscheidet, wer die Rolle besetzt? Oder aber wollt ihr selber durch ein kollegiales Rollenwahlverfahren besetzen?"

Die Antwort war eindeutig positiv für das kollegiale Wahlverfahren.

Warum fragen wir Widerstände ab und was ist der Unterschied zur systemischen Konsensierung?

Im Verlauf des Gesprächs wirft Jo eine Frage auf, die sich einige von uns vielleicht schon früher gestellt haben: Wieso machen wir überhaupt Widerstandsmessungen und warum nicht eine einfache Abfrage der Art "Willst du A oder willst du B?"

Im Gegensatz zur Abfrage von Zustimmung, so Ralf, sei eine Widerstandsabfrage eben die Messung von Abneigung gegen eine Entscheidungsoption. Der Vorteil: Entscheidungen, die durch Widerstandsmessungen getroffen werden, haben bessere gruppendynamische Effekte, weil sich diejenigen, die gewählt haben, weniger als Verlierer sehen. Deshalb sei die Zufriedenheit höher. Im Detail gibt es dafür verschiedene Verfahren, etwa die kollegiale Rollenwahl oder die systemische Konsensierung.

Sarah gibt indes zu bedenken, dass eine einfache Widerstandsabfrage möglicherweise aber doch Verlierer zur Folge hätte – anders als bei der systemischen Konsensierung, bei der in einer weiteren Stufe die Wünsche aller besser integriert werden könnten. Hier sei der Moderator gefragt, der Einwände und Widerstände im Entscheidungsprozess aufnehmen und so für eine Entscheidung sorgen kann, die für die meisten sehr viel positiver ist.

Ralf stimmt zu: Die systemische Konsensierung sei tatsächlich ein gutes Instrument, um nicht nur ein Ja / Nein abzufragen, sondern zu messen, wie hoch der Widerstand insgesamt ist.

Soziale Dynamiken bei Seibert Media: Was ist da los und wie gehen wir damit um?

Zum Schluss spricht Sarah noch einen Aspekt an, der ihr in den letzten Wochen verstärkt aufgefallen ist: Das Thema soziale Dynamiken "und dass wir so eine Tendenz dazu haben, ständig in eine Debatte zu gehen". Sie hat beobachtet, dass auch dann, wenn schon mehr oder weniger eine Entscheidung gefallen ist oder zumindest eine Richtung eingeschlagen wurde, immer wieder die gleichen Themen aufkommen, die eigentlich schon erledigt waren. Sarah bezweifelt, dass diese ständigen Debatten auf Dauer zielführend sind, und fragt: "Wie können wir damit umgehen, wie finden wir die Mitte?"

Ralf sieht die Verfahren der kollegialen Führung als langfristige Lösung für eine nachhaltige Kulturveränderung, die jedoch keine schnellen Ergebnisse bringe. Das brauche Zeit, wie bei allen neuen Strukturen. Außerdem dauere es, bis gewisse informelle Machtstrukturen an Einfluss verlieren oder sich verändern.

Der Weg wird kein leichter sein … mit Debatten zu einer neuen Kultur finden

Die Lösung? Wir müssen weiterhin konsequent sowohl die Lauten als auch die Leisen einbinden, meint Ralf. Egal, wie lange das im Einzelfall dauert. Entscheidungen würden so besser und könnten mehrheitlich getragen werden:

"Das ist quasi der Lernprozess, auch zu sagen, die Leute müssen lernen, sich selbst einzubringen – und sich eben dann (...) einzubringen, wenn es auch Thema wird."

Sowohl die bekannten Mächtigen als auch die scheinbar weniger Mächtigen brauchen Zeit zu lernen, sich neu zu positionieren und auf neue Weise einzubringen. Also wäre es klug, beispielsweise am Ende eines Meetings alle nach ihrer Meinung zu fragen, die eigentliche Entscheidung aber auf den nächsten Tag zu verlegen.

Eine Patentlösung, die für alle Unternehmen gilt, gebe es nicht, sagt Ralf. Der Weg müsse in jeder Organisation selbst gefunden und erfunden werden. Das Debattieren mag aufreibend und unstrukturiert sein, sei aber nicht negativ zu bewerten. Es hat in der Vergangenheit schon einmal bei uns die Kultur verändert und wird es auch jetzt tun, dieses Mal in Richtung kollegialer Führung.

Was erwartet uns in der nächsten Podcast-Folge? Zwei Fragen stehen in der fünften Episode von "Echt jetzt?" im Mittelpunkt: Sind wir eigentlich zu agil? Und: Warum haben es Prozesse bei uns schwer? In unserer Infothek könnt ihr den Beitrag jetzt schon anhören; ein zusammenfassender Blogpost folgt in Kürze.

Weiterführende Infos

From Teamwork to Network: Einblicke in die Organisationsentwicklung bei Seibert Media
Agilität neu denken: Durch kollegiale Führung den Spagat zwischen Chaos und Konzern meistern
Agile Leadership: Nützlicher Ansatz für moderne Führung oder gefährliche Denkfalle?


Mehr über die Creative-Commons-Lizenz erfahren

Entdecke die Zukunft der agilen Transformation in der Automobilbranche beim Tools4AgileTeams at Scale "Automotive Day"!

Schreibe einen Kommentar