Agile Leadership: Moderne Führung auf dem unsicheren Weg der agilen Transformation (Teil 2)

In den meisten großen Organisationen gibt es längst Teams, die sich agil organisieren. Wenn dieses Unternehmen nun eine ganzheitliche agile Transformation anstrebt, sind viele Coaches und Scaled-Agile-Fachleute der Ansicht, dass insbesondere die Führungskräfte gefragt sind, die Skalierung voranzutreiben und neue Rollen einzunehmen. Das Stichwort heißt: Agile Leadership. Doch was heißt das eigentlich genau? Wie kann die Unternehmensführung das Momentum nutzen? Wie kann es gelingen, die Teams, die ihre eigenen unabhängigen Entscheidungen treffen, zu synchronisieren? Und: Wie können Führungskräfte vermeiden, unbeabsichtigt selbst Blockaden zu errichten?

Diesen Fragen haben wir uns im ersten von zwei Artikeln angenähert. Der heutige Beitrag schließt hier direkt an und widmet sich den Überzeugungen und Verhaltensweisen, die Agile Leader mitbringen und leben sollten, um die Transformation bestmöglich zu unterstützen.

Agile Leadership: Moderne Führung und digitale Transformation

Überzeugungen und ihre Bedeutung im Kontext von Agile Leadership

Erfolgreiche Agile Leader sind von dem, was sie tun und was sie anstreben, überzeugt. Sie haben feste Prinzipien, die ihnen dabei helfen, die agilen Teams in ihrer Organisation zu führen und auf das Erreichen von Business Agility hinzuwirken.

Überzeugung #1: Veränderung ist eine Kraft mit viel Potenzial

Veränderung ist nichts, mit dem man leben oder an das man sich eben gewöhnen muss. Erfolgreiche Agile Leader machen sich Veränderung zu eigen und arbeiten aktiv damit.

Wie sie Veränderung nicht wahrnehmen sollten:

  • Als notwendiges Übel, das man hinzunehmen hat
  • Als etwas, über das man nachdenkt, wenn es denn da ist

Wie sie Veränderung sehen sollten:

  • Als etwas Konstantes
  • Als etwas Notwendiges
  • Als noch nicht erschlossenes Potenzial

Überzeugung #2: Was mich hierher gebracht hat, wird mich nicht weiterbringen

Wenn eine Führungskraft sich für einen unumstrittenen Experten hält und der Meinung ist, nichts Neues mehr lernen zu müssen, ist sie in die Falle der Selbstgefälligkeit getappt: Sie hat aufgehört zu wachsen. Agile Leader verlernen alte Tricks und schaffen Raum für neue Arten des Denkens.

Diese Überzeugungen helfen auf dem Weg in Richtung Business Agility nicht:

  • Zu glauben, dass Seniorität und jahrzehntelange Erfahrung im Job bedeuten, dass man sich nicht weiterzuentwickeln braucht
  • Der Meinung zu sein, dass alle anderen auf die eigenen Richtungsvorgaben angewiesen sind
  • Nach dem Motto "Was uns hierher gebracht hat, bringt uns auch weiter" zu agieren

Diese Überzeugungen werden sich als wertvoll und hilfreich erweisen:

  • Alles verändert sich, also muss auch ich mich verändern
  • Gutes Zuhören führt zu besserem Lernen
  • Was uns hierher gebracht hat, wird uns nicht weiterbringen

Überzeugung 3: Ich bin niemals die klügste Person im Raum

Eine erfolgreiche Führungskraft geht immer von der Prämisse aus, dass sie nie die schlauste Person im Raum ist. Für einen Menschen in einer Machtposition ist Bescheidenheit eine Stärke.

Diese Überzeugungen werden nicht helfen, agile Arbeitsweisen zu etablieren:

  • Der Meinung zu sein, dass man anderen Leuten überlegen ist
  • Zu glauben, für die Gruppe absolut unverzichtbar zu sein

Diese Überzeugungen werden sich als dienlich erweisen:

  • Es gibt ständig neue Dinge zu lernen
  • Niemand im Team ist etwas Besseres als der oder die Andere

Verhaltensweisen echter Agile Leader

Die oben und im vorangehenden Artikel besprochenen Eigenschaften und Überzeugungen, die für Agile Leadership nötig sind, bilden die Basis für die Handlungen und Aktivitäten einer erfolgreichen Führungskraft im Kontext Skalierung und Transformation. Und während die Eigenschaften und Überzeugungen meist nur für wenige Personen sichtbar sind, sind die Aktionen für alle zu sehen. Die folgenden drei Verhaltensweisen sollten für Agile Leader besonders hohe Priorität haben.

Verhaltensweise #1: Dem Team Autonomie gewähren

Die Menschen im Unternehmen wurden nicht nur deshalb eingestellt, weil sie in ihren Bereichen gute Arbeit leisten, sondern auch, weil sie motiviert sind. Die Rolle als agile Führungskraft ist wichtig, aber agile Führung bedeutet nicht, im Alleingang die Strategie vorzugeben, die Richtung zu diktieren und die Ergebnisse zu kontrollieren. Bewegliche Unternehmen, die die Teams ermächtigen, haben bewiesen, dass sie dadurch erheblich innovativer sein können.

Diese Verhaltensweisen helfen auf dem Weg zu Business Agility nicht:

  • Alle Entscheidungen selbst zu treffen und sie nach unten durchzureichen
  • Informationen zurückzuhalten, die die Teams brauchen, um Entscheidungen zu treffen
  • Ständige Rechenschaft einzufordern und den Teams in die Arbeit reinzureden

Diese Verhaltensweisen unterstützen die Agilität der Organisation:

  • Wege zu finden, um als Führungskraft den Teams von Nutzen zu sein (statt andersherum)
  • Die Teams bei der gemeinsamen Richtungsbestimmung zu unterstützen und ihnen Autonomie einzuräumen

Verhaltensweise #2: Ein Rollenvorbild für das Team sein

Als agiles Rollenvorbild zu agieren, bedeutet, sowohl an den Erfolgen als auch an den Misserfolgen der Teams teilzuhaben, die agile Denkweise zu verkörpern und Feedback willkommen zu heißen.

Diese Verhaltensweisen sind auf der Agile-Reise schädlich:

  • Erfolge der Teams für sich zu verbuchen und Fehlschläge auf die Teams abzuwälzen
  • Sich Hinweisen oder Kritik zu verweigern

Diese Verhaltensweisen sind hilfreich:

  • Sich als Teil des Teams mit seinen Erfolgen und Misserfolgen zu sehen
  • Offen für Hinweise und Kritik zu sein

Verhaltensweise #3: Raum für Fehlschläge schaffen

Misserfolge sind Möglichkeiten, zu lernen und Anpassungen vorzunehmen. Agile Leader sollten den Teams Freiraum verschaffen, um zu experimentieren, gegebenenfalls zu scheitern und daraus die richtigen Lehren zu ziehen.

Diese Verhaltensweisen werden die Scaled-Agile-Reise behindern:

  • Fehler und Misserfolge unter den Teppich zu kehren
  • Die Verantwortlichkeit für Fehlversuche und Fehlschläge zu verweigern

Diese Verhaltensweisen sind hingegen förderlich:

  • Teams die Freiheit zu gewähren, Experimente durchzuführen und Fehler zu machen
  • Die Teams für ihre Bemühungen und Ideen wertzuschätzen, nicht nur für die Erfolge

Agile Teams und Praktiken

Die Agile-Reise einer großen Organisation braucht Führung, doch ohne Teams mit ermächtigten, motivierten Menschen, die zusammenarbeiten, ist natürlich alle Mühe vergeblich. Und vier Aspekte sind hier erfolgskritisch: Menschen, Praktiken, Tools und Umfeld. Agile at Scale dreht sich jedoch nicht darum, die besten Leute oder die höchstentwickelten Prozesse oder die modernsten Tools zu haben. Die erfolgreichsten Organisationen sind diejenigen, die eine Kongruenz all dieser Faktoren herstellen.

Menschen

Wenn die Teams wenig Erfahrung mit agilen Arbeitsweisen haben, lohnt es sich, in Trainings zu investieren. Führungskräfte sollten sicherstellen, dass die Leute kontinuierlich auf professionelles Coaching zugreifen können und dass sie die Möglichkeiten und Ressourcen haben, um zu lernen und ihre Fähigkeiten weiterzuentwickeln.

Praktiken

In erfolgreichen agilen Organisationen gibt es Gewohnheiten und Rituale, die von den Teams ausgewählt und gepflegt und von den Führungskräften gefördert werden. Hier kommt der Effekt von Servant Leadership zum Tragen. Wenn die Teams die Mission verstanden haben, auf der sie sich befinden, müssen sie - bewaffnet mit neuem Wissen und den richtigen Tools - die Freiheit haben, ihren eigenen Kurs zu verfolgen.

Tools

Es gibt zahllose Werkzeuge für die unterschiedlichsten Aufgaben. Teams sollten die Werkzeuge auswählen, die zu ihren agilen Arbeitsweisen passen und die kongruent zu den zu erreichenden Zielen sowie den Fähigkeiten der Teammitglieder sind. Ein Wasserfall-basiertes Tool kann also nicht das Werkzeug der Wahl sein, selbst wenn es das beste seiner Klasse ist.

Umfeld

Entspricht die Arbeitsumgebung des Unternehmens den Praktiken und Tools der Teams? Fördert sie die agilen Prozesse? Sind die Räumlichkeiten so konzipiert, dass sie die übergreifende Zusammenarbeit unterstützen, oder stehen zahlreiche geschlossene Türen dem Entdeckungsdrang der Leute entgegen?

Stolperfallen auf dem Weg zu Agile Leadership

Agilität zu skalieren, ist ein komplexes Vorhaben, für das es keinen Königsweg gibt. Auf der Reise lauern unterschiedliche Stolperfallen, die Agile Leader möglichst umgehen sollten.

Das "Compliance-Regime"

Es kommt vor, dass ein*e hochrangige*r Manager*in mit dem Vorhaben daherkommt, die Teams "agil zu machen" und sie zu Scrum-Teams zu verwandeln. Er oder sie übergibt den Leuten Checklisten und geht davon aus, dass die Teams seinem Wunsch nachkommen. Auf diese Weise wird die entsprechende Person allerdings gar nichts erreichen. Denn: Die Werte und das Wesen von Agilität hat die Führungskraft nicht verstanden.

Langfristige Transformationspläne

Viele höhere Führungskräfte fallen in alte Verhaltensmuster zurück. Ein Beispiel ist die Erstellung eines detaillierten 18-monatigen Skalierungsplans nach dem Wasserfall-Modell. Aber Agilität entsteht durch eine Evolution. Es gibt keinen Hebel, den die Führungsebene einfach umlegen kann. Business Agility wird durch kontinuierliche kleine Veränderungen erreicht.

Die Erwartung, dass Agilität zu mehr Sicherheit führt

Für einen Agile Leader besteht der beste Weg, Unsicherheit zu reduzieren, darin, Dinge auszuprobieren, indem Arbeit in kleine Teile aufgebrochen und dann in häufigen Releases an die Kunden ausgeliefert wird. Mit jedem Release steigt das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Agile Teams scheitern schneller und lernen schneller. Es gibt zwar keinen sicheren Erfolg und keine Gewissheit, aber kontinuierlichen Fortschritt.

Veränderung um der Veränderung willen

Am anderen Ende des Spektrums ist in manchen Organisationen das Phänomen zu beobachten, dass sich eine Mentalität bildet, die Veränderungen um der Veränderungen willen anstrebt. Veränderungen mögen notwendig sein, aber sie müssen einen Sinn und Zweck haben.

Führung, die die Teams ins Zentrum rückt

Individuelle agile Teams bilden die Basis eines erfolgreichen Unternehmens, doch sie können nur in begrenztem Umfang auf Agilität im großen Zusammenhang hinwirken. In den meisten großen Organisationen braucht es dafür Beschleuniger, Führung und ein Alignment des Managements.

Wenn Agile Leader das Team ins Zentrum aller Aktivitäten und Bemühungen rücken, kann es sein ganzes Potenzial entfalten. Die Eigenschaften, Überzeugungen und Verhaltensweisen der Führungskraft bestimmen mit darüber, wie agil die Organisation wird und wie schnell ihr die Transformation gelingt. Doch dabei sollte sich das Führungsteam immer darüber im Klaren sein, dass Agile at Scale kein einmaliges Projekt ist, sondern eine Reise, auf der Ungewissheiten, Überraschungen und Umwege warten. Und in vielen Unternehmen kann Agile Leadership helfen, Klippen zu umschiffen und die Reise erfolgreich zu Ende zu bringen.

Quelle: Atlassian, Leading transformation through uncertrainty, an agile leaders primer

Skalierte Agilität mit Atlassian-Tools

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Weiterführende Infos

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