UX-Design: “Komplette Website ansehen” muss sterben (Teil 1)

Drei Wörter. Drei harmlose Wörter. Da stehen sie am unteren Rand der Seite einer mobilen Website:

"Komplette Website ansehen."

Als diese drei Wörter zuerst auf der Bildfläche erschienen, waren sie absolut sinnvoll. Es war ein großartiges Designmanöver, das uns den Rücken freihielt. Wenn in unserem mobiloptimierten Design etwas fehlte, das unsere Nutzer brauchten, waren diese drei Wörter die Rettung. Aber heute kann damit mehr Schaden als Nutzen angerichtet werden.

Der M-Dot

"Komplette Website ansehen" lebt in einer eigenen speziellen Welt – einer segmentierten Website, die als M-Dot bekannt ist. Die Seiten einer M-Dot-Site sind der Ort, an dem die mobiloptimierten Funktionen leben.

Dieselben Funktionen existieren auch auf der kompletten Site, aber in der M-Dot-Umgebung sind sie auf den kleinen Bildschirm zugeschnitten. Hier leben vereinfachter Content und einfach zu nutzende Ressourcen.

Dies folgt dem Denken, dass es ein Sub-Set der Funktionalitäten gibt, die die komplette Site bietet, und dass diese Funktionen diejenigen sind, die die User aller Voraussicht haben wollen, wenn sie unterwegs sind. Wenn sie nicht am Desktop-Rechner sind, werden sie wahrscheinlich nicht den Blog des CEOs lesen oder die Über-uns-Seite besuchen. Website-Designer trennen die Funktionalitäten in Dinge, die Nutzer unterwegs wollen, und Dinge, die sie nicht wollen. Der Kram, den sie am ehesten möchten, findet Einzug in die M-Dot-Site.

Es begann mit WAP

Die Idee der reduzierten Funktionalität für Mobile-User kam auf, bevor Smartphones überhaupt existierten. Das Wireless Access Protocol, auch bekannt als WAP, war eine vereinfachte Oberfläche für Feature-Phones, um etwas Ähnliches wie Web-Page-Möglichkeiten zu haben.

Ein Browser mit begrenzten Darstellungsmöglichkeiten ließ Leute, die kein Smartphone hatten, mit den basischen Website-Funktionen interagieren. Beliebt in Europa und Asien, konnten User Bahnfahrpläne ansehen, Artikel auf einer News-Site lesen oder sich übers Wetter informieren. WAP machte all diese Funktionen auf dem Telefon verfügbar.

Der Schmerz des Zwei-Finger-Zooms

2007 packte Apple seinen voll funktionalen Safari-Browser auf das erste Release des iPhones. Die User konnten nun Seiten, die für den Desktop designt waren, sehen und mit ihnen interagieren.

Allerdings war die Browsing-Interaktion auf dem iPhone sperrig. Es war unmöglich, die Sites, die für viel größere Bildschirme designt waren, bei der kleinen Auflösung des iPhone-Screens zu lesen. User konnten per Zwei-Finger-Zoom zwar Teile des Bildschirms vergrößern, aber das war schon bei den einfachsten Seiten eine schwierige Sache.

Dazu kamen die langen Rendering-Zeiten aufgrund langsamer Grafikprozessoren und geringer Modem-Geschwindigkeiten, und am Ende waren unsere Nutzererlebnisse ziemlich scheußlich. Wenn die Website irgendwelche Flash-Komponenten hatte, wurde das Nutzererlebnis ganz zerschossen.

M-Dot-Sites waren natürliche Erweiterungen von WAP. Sie waren eine perfekte Lösung, um die Schmerzen des Zwei-Finger-Zooms, langsamen Renderings und fehlender Komponenten zu überwinden. Biete dem User eine einfach designte Seite, optimiert für die Größe des Screens, und du hast alles richtig gemacht.

Einen Notausstieg anbieten

"Aber manchmal möchte ich Zugriff auf 'alles' haben." Unsere Desktop-Sites, die sich über die Jahre weiterentwickelt haben, bieten ein reiches Set an Funktionen. Der M-Dot kann nicht all diese Möglichkeiten haben. Daher brauchen wir einen Notausstieg.

Indem wir "Komplette Website ansehen" anbieten, geben wir den Nutzern einen Weg, den Grenzen des M-Dot zu entkommen. Sie können Zugriff auf alles haben, wenn sie nur einen einzigen Link klicken.

Wir nutzen den Notausstieg, weil das M-Dot-Nutzererlebnis nicht komplett ist. Die M-Dot-Site kann nicht haben, was die User brauchen, weil wir sie absichtlich verkrüppelt haben.

Doch wenn die Nutzer durch den Notausstieg springen, in dem sie den Link "Komplette Website ansehen" drücken, werden sie in Welt der unmöglich zu nutzenden Desktop-Sites zurückversetzt. Der Zwei-Finger-Zoom ist die einzige Überlebensmöglichkeit.

"Komplette Website ansehen" ist das Versprechen einer besseren Welt, das nicht eingehalten werden kann. Der User hofft auf einen einfachen Weg, um auf die Funktionalität zuzugreifen, die dem M-Dot fehlt. Doch ihn in die Welt des Zwei-Finger-Zooms zurückzuversetzen, ist nicht die Lösung. Was ist die bessere Lösung? Responsives Design.

Im zweiten Teil des Artikels beschreibt der Autor anhand einer Fallstudie, wie der Umstieg auf eine responsive Lösung nahtlos vonstatten gehen kann und was er tatsächlich bringt.

Dieser Artikel wurde im Original am 11. März 2015 unter dem Titel 'View Full Site' Must Die von Jared M. Spool veröffentlicht. Jared M. Spool gehört zu den führenden User-Experience-Experten unserer Zeit. Seine Website erreichen Sie unter http://www.uie.com. Weitere Artikel von Jared M. Spool finden Sie im Usability-Special von //SEIBERT/MEDIA.

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