Mythos Teamautonomie: Warum sie eine Illusion ist und wir sie trotzdem brauchen (T4AT 2021)

Autonome Teams sind etwas, das häufig als Fundament agiler Organisationen gesehen wird. Aber kann es unbedingte Teamautonomie in der Praxis überhaupt geben? Dieser Frage hat sich Gerrit Beine in seinem Vortrag bei der zehnten Tools4AgileTeams-Konferenz gewidmet und darin Teamautonomie aus der Perspektive von Organisationen betrachtet.

Gerrit ist Trainer und Berater bei INNOQ. Er ist seit 1998 in der IT unterwegs, seit 2001 mit agilen Methoden. Er war viele Jahre lang Software-Architekt in großen Projekten. Nach zehn Jahren Agile-Coaching hat er 2020 diesen Hut an den Nagel gehängt, um in Zukunft verstärkt Brücken zwischen Organisationsstrukturen und langlebigen Software-Architekturen.

Hier fassen wir Gerrits Ausführungen kurz zusammen und bieten unten die Aufzeichnung seiner Session an.

Was ist Teamautonomie?

Der Ruf nach autonomen Teams in Unternehmen ist verständlich. Die Menschen in den Organisationen wünschen sich weniger Abstimmung und Zeitverschwendung durch zahllose Meetings, sondern mehr Effizienz. Es geht also um wirklich praxisrelevante Probleme, für die Teamautonomie einen Lösungsansatz bietet.

Unter Autonomie versteht man Selbstständigkeit, Selbstbestimmtheit, Entscheidungsfreiheit. Im Zusammenhang von Teamautonomie sind wir Gerrit zufolge also autonom, wenn wir uns in Bezug auf unsere Entscheidungen keine Gedanken über die Folgen für Andere machen müssen. Doch ein Team agiert ja innerhalb einer Organisation, und diese Organisation hat ein Ziel, das sie erreichen will!

Die Organisation und ihre Teams

Gerrit arbeitet dann zunächst die Differenzierung des Verhältnisses zwischen der Organisation und ihren Teams heraus – hier die Organisation als lebensfähiges Ganzes, das sich selbst erhalten kann und einen Zweck erfüllt, dort die einzelnen Teile (die Teams), die aber nicht für sich allein lebensfähig sind und über deren Existenz und Ende in der Regel extern entschieden wird.

Teams werden in Unternehmen genutzt zum Zweck der Orientierung, der Fokussierung, der Effizienz, der Handlungsfähigkeit, der Reduktion von Komplexität. Insofern sei das Bilden von Teams in einer Organisation nichts anderes als "Divide & Conquer": Wir vereinfachen das Management! Und die Mitarbeiter und Teams brauchen wiederum Organisationen, um Dinge zu leisten, die wir als Individuen oder kleine Gruppen eben nicht leisten können, so Gerrit.

Wenn nun von Teamautonomie die Rede ist, muss die Frage aufgeworfen werden, ob es das wirklich gibt: eine autonome Entscheidungsfindung in den Teams ohne Vorbedingungen, ohne Folgen, ohne Konsequenzen. Das ist eher unwahrscheinlich, zeigt Gerrits Erfahrung.

Vielmehr sieht die Wirklichkeit häufig so aus, dass Entscheidungsfindung in Organisationen aufgrund vieler Schnittstellen und Abhängigkeiten eine sehr komplexe Sache ist. Eine Voraussetzung für gute Entscheidungen ist außerdem, dass die Teams wissen, was das Ziel der Organisation ist (Alignment).

Entscheidungsprämissen als Prinzipien der Entscheidungsfindung

Um diese Herausforderung aufzulösen, schlägt Gerrit das Werkzeug der Entscheidungsprämisse vor. Bei einer Entscheidungsprämisse handelt es sich um ein Programm, das besagt, wie in einer Organisation bei einer bestimmten Klasse von Problemen im Prinzip entschieden wird.

Entscheidungsprämissen seien jedoch nicht als Gesetze zu verstehen, relativiert Gerrit: In vielen Organisationen könne durchaus von Entscheidungsprämissen abgewichen werden, es müsse aber immer begründet sein. Prinzipiell sei die Waage zwischen "Wann abweichen?" und "Wann an Entscheidungsprämissen halten?" sehr wichtig, denn: Teamautonomie benötigt einen Handlungsrahmen.

Die Gefahr ist nämlich, dass die Abwesenheit wichtiger Entscheidungsprämissen Teams entkoppelt. Wenn es nur unentschiedene Entscheidungsprämissen gibt, besteht kein Alignment und die Teams entkoppeln sich voneinander und auch von der Organisation bzw. dem Ziel der Organisation.

Dann gäbe es zwar maximal autonome Teams, aber keine Organisation, zu der die Teams gehören. Das Problem: Teams sind eben keine Teilorganisationen.

Das Fazit: Ja, Entscheidungsprämissen benötigen viel Zeit für die Kommunikation. Aber wenn Teams mehr Verantwortung tragen sollen, braucht es mehr Entscheidungsprämissen. Eigentlich sind (manche) Meetings in Organisationen wohl doch gar nicht so schlecht, schließt Gerrit seine ebenso impulsreiche wie unterhaltsame Session. Hier ist die Aufzeichnung:

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Save the Date für die T4AT #11!

Nach der Konferenz ist vor der Konferenz: Der Termin für die elfte Ausgabe der Tools4AgileTeams steht mittlerweile fest. Am 1. und 2. Dezember 2022 soll die diesjährige T4AT stattfinden – dann voraussichtlich als Mix aus virtueller und Präsenzveranstaltung, sofern es die Corona-Lage zulässt. Also: Save the Date!

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