Produktinnovation: Die archetypischen Muster von Customer Stories

Inspiriert von Kurt Vonneguts Gedanken über die "Shapes of all Stories" hatte ich vor einer Weile über die simplen Muster eines Startups nachgedacht. In letzter Zeit ist mir schließlich aufgegangen, dass auch Customer Stories archetypische Muster aufweisen.

Diese archetypischen Ausprägungen nehmen Form an, wenn wir im Zeitverlauf abbilden, wie glücklich unsere Kunden sind, wenn sie Produkte anheuern und feuern, um die unterschiedlichen Jobs in ihrem Leben zu erledigen.

Falls du nicht mit dem Jobs-to-be-done-Ansatz oder der hier verwendeten spezifischen Definition vertraut bist, empfehle ich zuerst den Artikel: Was ist ein Job to be done?

Ein JTBD ist die Exemplifizierung eines unerfüllten Bedürfnisses oder Wunsches.

Jobs to be done

Das Verständnis der grundlegenden Ausprägungen von Customer Stories kann helfen, unsere eigenen Kunden besser zu verstehen, neue Innovationsmöglichkeiten aufzudecken (lösenswerte Probleme) und Produkte dafür zu entwickeln.

Die Status-quo-Theorie

Customer Story Status quo theory

Unser Kunde startet auf einem basalen Glücks-Level, bis er auf einen JTBD-Trigger stößt, zum Beispiel stechenden Hunger. Da ein JTBD-Trigger eine Lücke zwischen dem aktuellen Status des Kunden (hungrig) und dem gewünschten Status (gesättigt) öffnet, verursacht er eine kleine Senke im Glücks-Level.

Kunden sind Gewohnheitstiere, also greifen sie schnell auf einen bekannten Weg zurück, um den Job zu erledigen. In diesem Beispiel ist das in der Regel der Gang zum Kühlschrank.

Am Ende befindet sich der Kunde auf einem höheren Glücks-Level, denn bei Jobs geht es darum, Fortschritte zu erzielen. Doch dieses höhere Glücks-Level ist nicht von Dauer. Nach kurzer Zeit kehrt der Kunde zurück auf das basale Glücks-Level – bis zum nächsten Trigger-Ereignis.

Customer Story Status quo

Dieser Story-Typ wird als Status-quo-Story bezeichnet, da sich die Geschichte immer auf ähnliche Weise abspielt, ehe der Kunde auf einen Plot-Twist trifft.

Begegnung mit einem Trigger (erster Plot-Twist)

Ein Wechsel-Trigger ist ein zusätzliches Ereignis, das entweder vor oder nach dem JTBD-Trigger auftritt und zu einem "Bruch" des alten Wegs führt. Dieser Bruch könnte wörtlich geschehen (das iPhone fällt auf den Boden) oder nur im Kopf des Kunden passieren (Apple kündigt ein neues iPhone an). Er könnte auf Erfolgsstreben basieren (zum Beispiel wenn die neue Technologie bessere Ergebnisse verspricht) oder eine Konsequenz aus etwas sein (etwa wenn externe Regeln ändern, wie Dinge getan werden).

Doch damit ein Wechel-Trigger den Kunden dazu bringt, weitere Maßnahmen zu ergreifen, muss er das Glücks-Level von Zufriedenheit in Unzufriedenheit verschieben. Dies ist ein ausschlaggebender Punkt in der Story.

Die Rechnung ist einfach: Wechsel-Trigger = JTBD-Trigger + Erwartungsverletzung.

Customer Story Switching Trigger

Nun, da der Kunde keine funktionierende Lösung mehr hat, muss er einen neuen Weg finden, um den Job zu erledigen. Damit beginnt seine Suche nach einer neuen Lösung, die erst passiv, dann aktiv erfolgt, ehe er sich daran macht, einen neuen Weg zu adaptieren.

Customer Story Switching Trigger 2

Einen neuen Weg anzunehmen, ist für sich bereits eine Leistung, und zwar eine, die oft mit der Hoffnung einhergeht, etwas Besseres akquiriert zu haben. Das führt zu einem Anstieg des Glücks-Levels.

Customer Story New Way Onboarding

Aber dieses Glück verfliegt, wenn der Kunde erkennt, dass er von einem Experten für den alten Weg zu einem Anfänger im neuen Weg geworden ist. Das ist die Senke des Onboardings. Der Kunde muss zusätzliche Mühe investieren, um die Nutzung des neuen Wegs zu erlernen. Hier wartet ein weiterer Wendepunkt der Story, von dem zwei unterschiedliche Pfade abzweigen.

Wechsel-Story A (neuer Weg gewinnt)

Customer Story Switching Story New Way

Damit der Kunde vorankommt, muss der neue Weg die Reibung des Onboardings überwinden und gleichzeitig auf die Erledigung des Jobs hinwirken. Die beste Art und Weise, das zu erreichen, besteht darin, die Story in einen oder mehrere Aha-Momente aufzubrechen (Aktivierung). Die Momente bestätigen das Vertrauen in den neuen Weg und erhöhen das Glücks-Level des Kunden (und seine Motivation).

Gelingt es dem neuen Weg, dass der Kunde den Job besser erledigt als mit dem alten Weg, führt das zu einem massiven Anstieg des Glücks-Levels. Der Kunde ist nicht nur zufriedengestellt, sondern begeistert.

Customer Story Switching Story new way 2

Alle neuen Produkte sollten versuchen, der Story bis hierhin zu entsprechen, denn sie mündet in ein Wechselmoment. Das ist die zweite ausschlaggebende Wegmarke: Der Kunde trifft die Entscheidung, dass der neue Weg den alten Weg auf Dauer ersetzen wird.

Leider folgt auf jede Phase der Begeisterung ein natürliches Absinken der Kurve. Der Geruch eines neuen Autos verfliegt irgendwann – und der Kunde erreicht nach und nach das ursprüngliche basale Glücks-Level. Aber die Spieler auf dem Feld sind nun andere. Der neue Weg hat den Platz des alten Wegs eingenommen und bildet den neuen Status quo.

Customer Story Switching Story New Way 3

Von nun an läuft die bekannte Status-quo-Story ab, bis ein neuer Wechsel-Trigger einen Plot-Twist auslöst.

Wechsel-Story B (alter Weg gewinnt)

Customer Story Switching Story old way

Die gerade erzählte Story könnte sich auch in eine andere Richtung entwickeln, nachdem der Kunde sich entschlossen hat, einen neuen Weg anzunehmen. Sie könnte von der bereits bestehenden Unzufriedenheit in Frustration kippen, falls sich der Onboarding-Prozess des neuen Wegs als zu komplex oder schwierig zu implementieren erweist.

Hier haut der Kunde auf den Notausschalter und entscheidet sich, vom neuen Weg abzulassen und zum alten Weg zurückzukehren. Diese Umkehr geht normalerweise schnell, da der Kunde mit dem alten Weg bereits gut vertraut ist (Status quo).

Customer Story Switching Story old way 2

Uns entgeht nicht, dass das Glücks-Level beim Erledigen des Jobs mithilfe des alten Wegs niedriger ist, da der Kunde immer noch von all der zusätzlichen Arbeit genervt ist. Doch auch dieses niedrigere Glücks-Level ist kurzlebig und erreicht bald wieder das ursprüngliche basale Niveau.

Customer Story old status quo

Der alte Status quo ist wiederhergestellt.

Die drei archetypischen Story-Muster

Hier sind alle drei archetypischen Muster in einem Diagramm zu sehen:

Customer Story 3 ways

Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass es sich um archetypische Muster handelt; es gibt einige zusätzliche Variationen – etwa Kunden, die keinen neuen Weg finden und letztlich aufgeben. Auch ist es möglich, dass diese Stories mehrere User-Rollen (zum Beispiel bei komplexen B2B-Geschäften) und/oder mehrere Produkte umspannen (beispielsweise SaaS-Trials).

Was erzählen uns diese Stories?

Sie helfen uns, zahlreiche Einsichten zu gewinnen, unter anderem diese:

  • Was bringt Kunden zum Kauf? (Trigger)
  • Wie lassen sich Early Adopter identifizieren, also Leute, die auf Trigger anspringen?
  • Was kaufen sie? (alter Weg)
  • Was ist am alten Weg dysfunktional? (Möglichkeiten für Innovationen)
  • Welche Kompromisse müssen sie eingehen? (Perfekte Lösungen sind ein Mythos.)
  • Wann ist der beste Zeitpunkt, die Kunden mit einem neuen Weg bekanntzumachen? (erster Berührungspunkt)
  • Wann ist der schlechteste Zeitpunkt?
  • Welche Lösung sollte gebaut werden, um ein Hiring-Moment auszulösen? (UVP des neuen Wegs)
  • Was löst einen Wechsel aus? (Aha-Momente und erwünschte Outcomes)
  • Oder falls wir bereits Kunden haben: Welche Lösung oder welche Features sollten gebaut werden, um einen Wechsel zu vermeiden? (UVP des alten Wegs)

Wie lassen sich diese Stories aufdecken?

Der beste Möglichkeit, diese Kunden-Stories aufzudecken, besteht nicht in Umfragen, Fokusgruppen, Problemvalidierungs-Interviews (Kunde, hast du dieses Problem?) oder Problem-Ranking-Ansätzen (Auf einer Skala von 1 bis 5 – wie schwerwiegend ist dieses Problem?).

Die beste Möglichkeit besteht vielmehr darin, sorgfältig ungescriptete (oder meta-gescriptete) Problem-Discovery-Interviews durchzuführen. Alle Customer Stories haben dramatische Momente, und die Aufgabe des Interviewers besteht darin, jene Dramen aufzudecken.

Diese Fähigkeit kann man erlernen. Es gibt ein neues Buch (die aktualisierte Version von "Running Lean"), einen Workshop (45-Day Problem Discovery) und sogar ein neues Tool (Customer Forces), das uns hilft, unsere Kunden-Stories automatisch zu visualisieren, lösenswerte Probleme zu priorisieren und Lösungen für einen Wechsel zu designen.

Customer Forces

Dieser Artikel wurde im Original am 16. August 2022 unter dem Titel The Simple Shapes of Customer Stories von Ash Maurya veröffentlicht. Ash Maurya gehört zu den führenden Köpfen der internationalen Gründerszene und ist einer der renommiertesten Experten für Lean Startup und Customer Development. Seine Produkte und Dienste sind unter leanstack.com zu finden. Mehr Fachartikel bietet unser Lean-Special.

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